Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
erschienen.
    Die
Partisan Review
war ursprünglich als Organ der antistalinistischen Linken konzipiert worden und war auf die leidenschaftlichsten politischen Polemiken abonniert, hatte aber von Anfang an auch ein anderes Gesicht. Einige der besten und bekanntesten amerikanischen Dichter und Schriftsteller wurden zuerst in der
Partisan Review
veröffentlicht, ebenso ausländische Autoren. Deshalb habe ich die
Partisan Review
gelesen – und tue es noch heute. Die Literaturbeilage war auch der Grund dafür, weshalb so viele Briten die
Partisan Review
lasen, die von der Linken ebenso wie solche, die durchaus keine Sozialisten waren. Ich überflog die Polemiken – mit dem Gefühl, dass ich mich für sie eigentlich interessieren sollte –, um an die Literatur zu kommen.
    William Phillips war ein nüchterner, sehr belesener, ironischer Mann, sehr amerikanisch und trotzdem stark von Europa beeinflusst. Als ich ihm viele Jahre später gestand, dass mich die politische Argumentation der
Partisan Review
nie interessiert hatte, war er, glaube ich, enttäuscht. Aber Tatsache ist: Die bösartigen Beschimpfungen, die Polemiken, die Dialektik, die Sophistereien der Politik, mit denen ich in meinem Leben immer wieder konfrontiert worden bin, sind zu Dunst und Nebel verblasst; geblieben sind Kunst und Literatur, die zu jener Zeit von den »Politikern« vermutlich bestenfalls geduldet wurden.
     
    J. P. Donleavy war um dieselbe Zeit in London, als Autor des skandalösen
Ginger Man
, einer weiteren Inkarnation des respektlosen, aufs Schockieren versessenen Außenseiters in der Art von
Glück für Jim
und dem Protagonisten von
Hurry On Down
. Aber Donleavy präsentierte sich mit seinem feinen Gespür für das Unerwartete als eine Art Herzog im Exil, ein ernster, traurig wirkender, eleganter Mann, der, zusammen mit Murray Sayle, unsere Tage mit Geschichten über die unwahrscheinlichsten Abenteuer belebte. Am besten erinnere ich mich an ihn dank eines überaus zärtlichen kleinen Augenblicks. Es ist früher Abend, die Stare lärmen auf den Dächern, und Donleavy taucht auf. Er war in der BBC gewesen, wo ihn das Verlangen überkam, einer Muse zu huldigen, in Form meiner Person. »Oh, setz dich, trink etwas – meine Muse ist für heute erschöpft.« Er deutete auf eine Tragetüte, in der vier große Flaschen »milk stout« standen. »Großer Gott, du bist doch nicht etwa zum Säufer von dem da (ich deutete auf die Flaschen) geworden?«
    »Nein, ich bin auf dem Heimweg und will sie meiner Frau mitbringen. Jede Frau, die ihren Tag mit kleinen Kindern verbringen muss, braucht das, und wenn es so etwas wie Ambrosiamilch gäbe, dann würde ich sie für sie kaufen, jeden Tag, die arme, arme Frau. Und außerdem tut ihr ein bisschen zivilisierte Unterhaltung gut, wenn die Kinder im Bett sind.«
     
    Ganz der geborene Komiker, der von Zeit zu Zeit einfach sein Publikum braucht, erschien gelegentlich Murray Sayle. Einmal rief er mich an und sagte, es sei ungeheuer dringend, wir müssten uns sehen, und als er erschien, stellte sich heraus, dass er gerade dreißig geworden war. Wir saßen fast den ganzen Tag im Garten eines Pubs – auf jeden Fall irgendwo im Freien –, wo er mir erklärte, Frauen hätten ja keine Ahnung, wie schrecklich es für einen Mann sei, dreißig geworden zu sein. Es sei das Ende der Jugend. Ich bin sicher, dass ich Mitgefühl bezeugte, denn sein Kummer war echt, auch wenn er wie immer sehr komisch wirkte. Erst später kam mir der Gedanke, dass ich selbst gerade vierzig geworden war und überhaupt nicht daran gedacht hatte, von ihm oder sonst jemandem Mitgefühl zu erheischen. Ich sagte nicht: »Verdammt noch mal, Murray, was sind deine Sorgen im Vergleich zu meinen?«
     
    Ähnliches galt auch für Kenneth Tynan, der mich zu sich bestellte, um mit mir über das Vergehen von Zeit zu philosophieren. Wir saßen fast einen ganzen Tag in seiner Wohnung, während die Sekretärin dies oder jenes an Stärkungsmitteln brachte. Ken sagte, er sei erst dreißig, habe aber als Theaterkritiker des
Observer
bereits alles erreicht, was es für ihn zu erreichen gebe. Anfangs dachte ich, er spottete über sich selbst, was er oft tat, aber nein, es war ihm bitter ernst damit. Ich deutete an, dass es doch bestimmt noch andere Gipfel gebe, die zu erklimmen sich für ihn lohnten; wir wechselten Worte, aber tauschten keine Gefühle aus, denn es gibt Zeiten, während derer die Engstirnigkeit der Briten Beobachter so lähmt, dass diesen

Weitere Kostenlose Bücher