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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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nur noch ein hilfloses Achselzucken bleibt. Er meinte es ernst, jedes einzelne Wort: Er sah sich selbst als eine Art brillantes Geschoss, das gegen das Philistertum des britischen Theaters geschleudert wurde, aber bereits im Sinkflug begriffen war, weil es zu früh eine zu große Höhe erreicht hatte.
    War ich eine besondere Freundin von Ken? Ich bin nie dieser Ansicht gewesen. Das lag daran, dass seine Deckung, der funkelnde Witz, so perfekt war und man nie das Gefühl haben konnte, ihm näher gekommen zu sein. Ich nehme an, dass ich für ihn so etwas wie eine Art ältere Schwester gewesen sein musste, denn mehrere Male rief er mich zu sich, um mit mir »Von-Herz-zu-Herz« oder dem, was er dafür hielt, zu reden.
    Ken wohnte mit Elaine Dundy, seiner damaligen Frau, in der Mount Street in Mayfair. Die Wohnung war auf triviale Art schick eingerichtet. Die Tapete zeigte Boschs
Garten der Lüste
, und es gab einen Stuhl, der mit imitiertem Tigerfell bezogen war. In der Wohnung wimmelte es oft von Leuten, die gerade das waren, was wir heute für gewöhnlich mit »angesagt« zu bezeichnen pflegen. Wenn man zu einer Party hinging, war jeder dort entweder bekannt aus den Nachrichten oder entsprach irgendeiner anderen Art von Ruhm. Leute, die Bekanntheiten um sich herum versammeln müssen, leiden in Wirklichkeit unter Unsicherheit, aber das habe ich damals nicht begriffen.
    Ich habe Ken mit seinen großen, vorstehenden, grünlichen Augen und seinem knochigen Gesicht immer als zerbrechlich und verletzlich empfunden, ganz wie einen – metaphorisch gesprochen – eleganten Seidenspinner. Er war hochgewachsen und viel zu dünn. Mich drängte es immer, die Arme um ihn zu legen und ihm ein paar beruhigende Worte zu sagen. Kaum die richtige Einstellung einem jungen König des Theaters gegenüber. Die Leute hatten Angst vor ihm, weil er so viel Macht besaß. Ich genoss seinen Esprit, fand aber, dass er in seinen Urteilen zu oft dem Dogma folgte anstatt dem gesunden Menschenverstand. Er war das Musterbeispiel eines Mannes, der die Leute mit der Behauptung zu schockieren liebte, dass er eigentlich Kommunist oder Marxist sei, aber eher sterben würde, als in die Partei einzutreten. Derartigen Leuten ist immer eine Art politischer Unschuld oder Ignoranz eigen, da ihr Denken völlig abgehoben von jeder Realität ist. So passte zum Beispiel Athol Fugard, der zu den wirklich originellen Stückeschreibern unserer Zeit gehört, nicht in Kens politisches Schema. Es gab noch andere Irrtümer. Aber Kens Artikel über das Theater waren brillant, sie funkelten, und es hat seither nichts Vergleichbares mehr gegeben.
    Wenn man ihm auf einer Party oder sonst irgendwo begegnete, dann machte er ein paar geistreiche Bemerkungen, aber nur unter Mühen, wegen seines Stotterns und seines schweren Atmens, wobei er einem ins Gesicht schaute, um die Reaktion abzulesen. Es kam vor, dass er erklärte, er habe den ganzen Tag daran gefeilt: »Ihr dürft nicht glauben, dass geistvolle Leute wie ich und Oscar Wilde nicht daran arbeiten müssen.«
    Kens Ehe mit Elaine Dundy ging dem Ende zu, mit lautstarken Auseinandersetzungen, die oft in Restaurants stattfanden, wo man dann Ken an einem Tisch sitzen sehen konnte, mit bleichem Gesicht, bitter, aber erfüllt von kämpferischer Energie, wie er Elaine, an einem anderen Tisch sitzend, lautstark Vorwürfe machte. Sie war in diesen Situationen mehr als nur imstande, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.
    Er genoss die öffentliche Zurschaustellung seiner selbst, als wäre er ein Ableger des Theaters. Er war ein Mann der Öffentlichkeit. Oft, wenn er mich anrief, wusste ich, dass ich eine gute Rezension erhalten hatte oder zumindest in den Zeitungen stand. Damals reagierte ich kritisch darauf, aber heute halten wir diese Dinge für selbstverständlich, denn wir werden in immer stärkerem Maße von außen manipuliert. Fans mögen schreiben: »Mir hat dieses Buch gefallen«, oder unfreundliche Leute: »Ich konnte dieses Buch nicht ausstehen«, aber gewöhnlich heißt es doch: »Ich habe die Rezension gelesen.« Der Stimulus ist die Rezension, nicht das Buch.
    Ken fuhr nach New York, und sechs Wochen lang war ich Theaterkritikerin für den
Observer
; danach sollte ich vom nächsten seiner Freunde abgelöst werden, die er bis zu seiner Rückkehr dazu ausersehen hatte, die Stellung für ihn zu halten. Es hat mir Spaß gemacht, vor allem deshalb, weil ich Stücke sah, die ich mir normalerweise nicht angeschaut hätte.

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