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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Angleton von der CIA damals geschrieben haben, wird einem klar, dass diese Herren gegen Windmühlen kämpften, da sie keine brauchbare Vorstellung davon hatten, wie gewöhnliche Kommunisten dachten und handelten. Das ist das, was mich in der Rückschau am stärksten beeindruckt. Hoover und seine Mannen beziehungsweise Angleton und die Seinen bekämpften den Feind Kommunismus, aber wenn ihnen ein Kommunist über den Weg gelaufen wäre, hätten sie ihn nicht erkannt. In Europa gab es eine schier unendliche Zahl von Abstufungen und Schattierungen, von Ansichten, von Erfahrungen. Wenn man in Europa sagte: »Aber ich habe aufgehört, Kommunist zu sein, wegen der Säuberungen … des Hitler-Stalin-Pakts … der Invasion Finnlands … der Schauprozesse in der Tschechoslowakei … der Unterdrückung des Aufstands in Ostberlin … in Ungarn« – war das eine Via Dolorosa, die jedermann verstand. Für die Amerikaner hingegen galt: Einmal ein Roter, immer ein Roter.
    Henry Kissinger erinnerte mich an den Hans Eysenck des inzwischen schon so lange zurückliegenden Vortrags in Oxford. Er hatte einen starken deutschen Akzent, strahlte Energie und Tatkraft aus – und darüber hinaus Misstrauen und Missbilligung. Laut den amerikanischen Zeitungen war die gesamte Bewegung für atomare Abrüstung kommunistisch, und ihm erklären zu wollen, dass nur eine verschwindend kleine Minderheit der Beteiligten Kommunisten waren, wäre in seinen Augen bloße Haarspalterei gewesen.
    Unsere Unterhaltung drehte sich bald nur noch um ein Wort. Er sagte, man habe eine Atombombe entwickelt, die so gezielt einzusetzen sei, dass sie genau hunderttausend Menschen töte. Er nannte sie »kitten bomb« (»Kätzchenbombe«). Ein Ausdruck, den er immer gebrauchte. Ich war schockiert und sagte, dass jeder, der das Wort »Kätzchen« zur Beschreibung einer Kriegswaffe gebrauche, beweise, dass ihm jedes Moralgefühl und jede Sensibilität abgehe und dass das typisch sei für all das, was an der amerikanischen Außenpolitik nicht stimme. Er erwiderte, ich sei sentimental und unrealistisch und hätte keine Ahnung von
Realpolitik
. Wir stritten nicht miteinander; um mit jemandem streiten zu können, muss man etwas mit ihm gemeinsam haben. Ich sah in ihm eine grausame, aufreizende und aggressive Macht, furchteinflößend wegen dem, was er repräsentierte. Er sah in mir eine scheinheilige, verschreckte Idiotin, die sich im Dienste des Weltkommunismus humanistischer Vokabeln bediente. Das Gespräch dauerte ungefähr eine Stunde und bestätigte die schlimmsten Vorurteile, die wir füreinander hegten.
    Im Grunde bewunderte ich den Mann für den Versuch, den er unternommen hatte. Kein anderer konservativer Amerikaner versuchte damals, den Feind – die Linke – zu verstehen. Und es war eine tapfere Tat. Kissinger hatte den Höhepunkt seiner Erfolge noch nicht erreicht, hatte aber trotzdem eine Menge zu verlieren. Ich konnte mir die Schlagzeilen in Amerika lebhaft vorstellen: »Kissinger unter dem Einfluss des Kreml« – »Kommunismus korrumpiert Kissinger« – »Das kommunistische Trojanische Pferd und Kissinger«. Nein, ich übertreibe keineswegs. Wie kann man den Wahnsinn jener Zeit beschreiben? Am nächsten kommt ihm vielleicht das, was wir erfahren, wenn uns heute Berichte über die innerparteilichen Auseinandersetzungen bei den moslemischen Fundamentalisten erreichen: eine dunkle Unvernunft, ein mörderischer Hass auf das Unbekannte. So sahen die Amerikaner damals den Kommunismus in den kommunistischen Ländern ebenso wie außerhalb davon. Und so sahen sehr viele Europäer, nicht nur die Linken, die Vereinigten Staaten: eine gewalttätige und beängstigende Unvernunft.
     
     
    Ein anderer Amerikaner, den Wayland Young zu mir schickte, war William Phillips, der in den dreißiger Jahren die
Partisan Review
gegründet hatte und sie seither herausgab. Er hegte eine sehnsüchtige Bewunderung für die britische Neue Linke und sah in ihr eine Bewegung, der es gelingen konnte, ein sozialistisches Großbritannien zu schaffen. Er wurde und blieb ein guter Freund. Die Ironie: Ich war einst Stalinistin und er eher Trotzkist gewesen. Er hatte in den Staaten den Stalinismus bekämpft. Eine Schlacht, die, von außen betrachtet, wie ein grell ausgeleuchteter Boxkampf in einem zu kleinen Ring wirkte. Die Differenzen von früher schienen jetzt irrelevant geworden zu sein; aber es passierte damals sehr schnell, dass Differenzen von früher irrelevant

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