Schritte im Schatten (German Edition)
äußern. Mein »Überdruck« angesichts dieser
Realität
trieb mich, bildlich gesprochen, bei der Niederschrift von
Das fünfte Kind
an, aber das bedeutet nicht, dass es ein Buch »über« die sowjetische Invasion in Afghanistan ist. Die Antriebskraft für
Das goldene Notizbuch
waren Gefühle des Verlusts, der Veränderung; dass ich von Jack und dann von Clancy bis an meine emotionalen Grenzen »gezerrt« worden war – oder vielmehr, dass es meine eigenen emotionalen Bedürfnisse, die im Grunde mit ihnen als Individuen nichts zu tun hatten, gewesen waren, die mich »mitgezerrt« hatten. Ich hatte mein Verlangen nach dem verwundeten Helden, dem leidenden Mann begriffen und wusste, dass damit Schluss sein musste. Peter, das dritte und letzte Kind, wurde allmählich erwachsen. Verlust, Trennungen, das Ende von Dramen, die vor langer Zeit begonnen hatten, das Verlangen, einen Schlussstrich zu ziehen –
finis
. All diese dynamische Energie floss in
Das goldene Notizbuch
ein:
emotionale
Energie, die erheblich stärker ist, als wir zu glauben gewohnt sind. Außerdem müssen wir uns eingestehen, dass das, was so oft als »intellektuell« bezeichnet wird, in Wirklichkeit gefühlsgeleitet ist. Was ist stärker emotionalisiert, leidenschaftlicher – und giftiger – als ein Zimmer voller Intellektueller, in einer ideologischen Debatte begriffen? … Aber ich lasse dieses gefährliche Thema auf sich beruhen, halte den Atem an.
Das Gerüst des Romans war ein gedachtes. Meine Grundannahme war, dass es gefährlich ist und unweigerlich zu Schwierigkeiten führt, das Leben Einteilungen zu unterwerfen und es zu kategorisieren. Alt, jung; schwarz, weiß; Männer, Frauen; Kapitalismus, Sozialismus: Diese großen Dichotomien sind unser Verderben, sie zwingen uns zu irrealen Kategorisierungen, lassen uns nach dem, was uns trennt, viel intensiver Ausschau halten als nach dem, was wir gemeinsam haben. Das ist der Gedanke, der der Form oder dem Modell des
Goldenen Notizbuchs
zugrunde liegt. Aber die Gefühle waren stärker als der Gedanke. Das ist der Grund dafür, weshalb ich
Das goldene Notizbuch
immer für misslungen gehalten habe: misslungen in meinem Sinne, in dem, was ich damit erreichen wollte. Denn hat dieses Buch auch nur ein Jota an unserem Hang geändert, wie Computer zu denken und alles – Menschen, Ideen, die Geschichte – in Schubladen einzuordnen? Nein, das hat es nicht. Wieso bin ich überhaupt auf einen derart hybriden Gedanken gekommen? Aber mich hatte die Möglichkeit der Entdeckung, die Möglichkeit zur Offenbarung in ihrer Gewalt. Ich hatte die Wahrheit gerade erst erkannt: Ich hatte zugeschaut, wie mein eigener Verstand wie eine Sortiermaschine arbeitete, und ich war bestürzt.
Das goldene Notizbuch
wurde nicht sofort zur »Bibel der Frauenbewegung«; als solche wurde es Land für Land beschrieben. Die Rezensionen sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten, von Frauen ebenso wie von Männern, waren bitter, voller Groll und feindselig. Eine Journalistin kam zu mir und sagte, sie sei erstaunt, wie schlecht die Rezensionen des
Goldenen Notizbuchs
seien; ob mir das bewusst sei? Seltsamerweise ja. Diese Rezensionen haben mich auf eine Art schockiert und erbost, die ich mir seither nie wieder gestattet habe. Zum einen hatte ich bis dahin viel Glück gehabt: Alles, was ich bisher geschrieben hatte, war, aufs Ganze gesehen, gut angekommen, oder die Ereignisse hatten mir recht gegeben. Meine frühen Arbeiten, über die Zustände im Süden Afrikas, waren als »unfair« gegenüber den Weißen kritisiert worden, aber diese Zeit war vorbei. In den Rezensionen zum
Goldenen Notizbuch
schwang ein Ton mit, der bewies, dass ich irgendeinen Nerv getroffen hatte. Wenn man dem nachgeht, dann bemerkt man, dass der Rezensent oder die Rezensentin nicht über das Buch schreibt, sondern über sich selbst. Wenn ein Rezensent mit einer Art bitteren Gehässigkeit schreibt, dann heißt es nicht: »Dieser Roman regt mich auf, weil ich dabei an meine Mutter, meinen Mann, mein Kind denken muss«, sondern: »Das ist ein fürchterlicher Roman.« Um das zu verstehen, muss man erfahrener sein, als ich es damals war. Und das Niveau der Rezensionen war bestürzend. Damals wusste ich noch nicht, dass es auf jedem Gebiet nur sehr wenig wirklich gute Leute gibt und die übrigen zweitklassig und ungebildet sind. Kein einziger der Rezensenten hat bemerkt, dass
Das goldene Notizbuch
eine interessante Form hatte, und das zu einer
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