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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Zeit, als die Kritiker sich über die Konventionalität des englischen Romans beklagten. Die im Roman behandelten Aspekte des Geschlechterkriegs verstörten sie dermaßen, dass sie nichts anderes mehr wahrnahmen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Rezensenten – meistens – sehr gefühlsbetonte Menschen sind. Man sollte annehmen, ihre Aufgabe wäre es, abzuwägen, nachzudenken, Überlegungen anzustellen, aber oft lassen sie lediglich ihren Gefühlen freien Lauf.
    Das Gleiche passierte, wenn auch weniger offensichtlich, mit
Und wieder die Liebe
. Genauso, wie das vermeintliche Thema des
Goldenen Notizbuchs
, Frauen und Männer, alles war, was die Rezensenten sehen konnten, war auch das vordergründige Thema von
Und wieder die Liebe
, Liebe in fortgeschrittenem Alter, verblüffend und schockierend, und die Tatsache, dass der Roman eine ziemlich vielschichtige Struktur hat, wurde kaum bemerkt.
    Eine Kritik, dass die männlichen Charaktere so unerfreulich seien, damals lautstark geäußert, ist seither wesentlich schwächer geworden. Der Ansicht war ich nicht. (Dahinter hört man: »Schriftstellerinnen können nicht über Männer schreiben«, diesen Rückzug auf die letzte aller Verteidigungslinien.) Damals hieß es,
alle
Charaktere seien so unerfreulich. Dabei fragt man sich sofort, was für außerordentlich wundervolle Menschen der Kritiker kennen muss, ganz anders als jedes menschliche Wesen, das man selbst kennengelernt hat. Und in welch schmeichelhaftem Licht er oder sie sich selbst sehen muss, ganz und gar nicht so, wie andere ihn oder sie sehen. Über genau diesen Punkt hat Proust einen hinterhältigen und lustigen Kommentar geliefert. Er stellt sich einen liebenswürdigen und schmeichelhaften Bericht über die Verdurins und ihren Kreis vor, die er aus der Froschperspektive porträtiert hat, ungefähr im Stil eines Gesellschaftsreporters, aber auf den Tagebüchern der Brüder Goncourt basierend. Als ob die Zeitschrift
Hello
beschlossen hätte,
Les Liaisons Dangereuses
zu schreiben.
    Vielleicht ungefähr so:
    Ich schlenderte die Church Street hinunter, vorbei an Molly Jacobs Haus, und dort saß am Fenster im ersten Stock Anna Wulf, die reizende Verfasserin von
Frontiers of War
. Ihr Blick war ins Zimmer gerichtet. Dann lachte sie, also musste sie sich mit jemandem unterhalten, vermutlich mit Molly selbst. Ich konnte nicht anders, ich war ein wenig neidisch auf diese beiden Frauen, die eine eine vielbeachtete neue Autorin, und Molly Jacobs, deren Karriere als Schauspielerin mit
The Wings of Cupid
gerade wieder einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, einem Stück, das vermutlich ewig laufen wird. Dann traf aus einer Seitenstraße der Milchmann ein, und Molly hörte ihn und trat neben Anna Wulf ans Fenster. Der Milchmann schaute hinauf und grüßte die beiden jungen Frauen. Sie gaben ein reizendes Bild ab. Molly sah mich und winkte. Ich mimte eine Bitte, und sie sagte etwas zu Anna Wulf, die mich kurz musterte, mich wiedererkannte – wir waren uns nur einmal kurz im Foyer des Theaters begegnet –, und einen Moment später fiel ein in ein Seidentuch eingewickelter Schlüssel neben mir aufs Pflaster. Reizende Boheme-Manieren … Ich stieg die Treppe hinauf – wobei mir auffiel, dass die Harfe immer noch auf dem Absatz stand – und hörte beim Eintreten ins Wohnzimmer von Molly: »Ja, aber ich bin keine Frau, die zum Theoretisieren neigt; ich mache mir einfach Sorgen um Tommy.« Ganz offensichtlich war ich in ein Gespräch über die Zukunft des Jungen hineingeplatzt, und ich sagte: »Ich bin nur gekommen, um den Damen meine Aufwartung zu machen.« Molly sagte: »Der Sohn des Milchmanns hat ein Stipendium bekommen, er war gestern hier und hat es mir erzählt.« Ich konnte mich nicht daran hindern zu sagen: »Molly, du solltest vorsichtiger sein; du darfst einfach nicht alle Leute in dein Haus lassen.« Noch während des Sprechens fiel mir ein, dass ich ihr gegenüber diesen Ton angeschlagen hatte, seit sie ein kleines Mädchen auf meinen Knien gewesen war. Jetzt verzog sie einfach das Gesicht und zuckte die Achseln. Sie ist nicht umsonst eine Schauspielerin, und ich fühlte mich zurückgewiesen, als hätte ich etwas Taktloses getan. Dann ertönte von der Straße der Ruf: »Frische Erdbeeren vom Land.« Beide Frauen winkten dem Verkäufer zu, er solle warten, und Molly lief die Treppe hinunter. Ich stand neben Anna, betrachtete die Szene und beobachtete Anna, die über das lächelte, was sie sah. Molly

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