Schritte im Schatten (German Edition)
Druck von außen.
Die »Gurus«, die Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre auftauchten, boten keine überzeugenden Gründe, sich ihnen zu unterwerfen. Ich habe einen ausprobiert, teils aus Neugierde, und saß seinem hiesigen Vertreter gegenüber, der mir etwas offerierte, das auf Psychotherapie auf einem so niedrigen Niveau hinauslief, dass ich Mrs. Sussman im Nachhinein bewunderte. Psychotherapie war damals »völlig out«, ganz im Gegensatz zu heute, wo jeder zweite Mensch, den man trifft, ein Berater ist, in der Regel Leute (es fällt schwer, diesen Hinweis zu unterlassen), deren eigenes Gefühlsleben sich besonders chaotisch gestaltet.
Ich beschloss, Augen und Ohren offenzuhalten und meine Suche fortzusetzen. Inzwischen machte ich Bekanntschaft mit einer unangenehmen Wahrheit über mich selbst – die erste von sehr vielen. Ich meine das Faktum, dass diese Pfade oder Wege, die ich erforschte, gelegentlich auch »Disziplinen« genannt wurden. Ich hatte keinerlei Disziplin im Umgang mit mir selbst – ja, ich überschätzte mich in jenen Tagen, in denen mich die schiere Größe dessen, dem ich mich gegenübersah, überwältigte –, abgesehen davon, dass ich über das Maß von Selbstdisziplin verfügte, mich jeden Tag an die Arbeit zu machen. Ich war imstande gewesen, mir mein Leben, meinen Arbeitsrhythmus so einzurichten, dass mein Sohn darin Platz fand. Ich konnte mit Recht behaupten, dass im Zentrum meines Lebens immer seine Bedürfnisse gestanden hatten, sein Aufenthalt in der Schule und seine Ferien, sein Kommen und Gehen. Aber was sonst noch? Nichts, wenn ich mich kühl betrachtete.
Essen nahm einen großen Platz in meinem Denken ein, sei es, dass ich es aß oder nur kochte. Das ist nichts Ungewöhnliches in unseren Zeiten des Überflusses, aber mir wurde immer stärker bewusst, wie viel Zeit ich mit dem Nachdenken übers Essen verbrachte. Und es ist durchaus möglich, eine Diät zu machen und trotzdem ans Essen zu denken, ganz einfach, weil es einem als gute Köchin Spaß macht, andere Leute zu bewirten. In jedem Fall gilt, man denkt trotzdem ans Essen.
Ich war keine Trinkerin mehr, wie ich es eine kurze Zeit lang gewesen war, aber Wein war ein Bestandteil meines Lebens, und ich kann nicht behaupten, dass ich mir etwas versagte.
Ich rauchte fünfzig oder sechzig Zigaretten am Tag und hätte nie geglaubt, dass ich eines Tages einfach damit aufhören würde.
(Sämtliche Wege, die ich bis zu diesem Zeitpunkt erforscht hatte, gingen von der Notwendigkeit des Asketentums aus.)
Ich war körperlich in schlechter Verfassung. Das besagte nicht viel, das wusste ich, aber ich beschloss trotzdem, jeden Morgen meinen Körper zu trainieren. Ich war mir natürlich bewusst, wie absurd es war, Liegestütze und Ähnliches zu machen und dabei zu hoffen, dies könnte ein Schritt auf dem Weg zu den höheren Dingen sein.
Ein Gedanke begann in mir zu nagen – es war wirklich erst ein Beginn –, dass mein Verhalten, seit ich den Kinderschuhen entwachsen, mein »Lebensstil«, etwas war, das man zu jeder anderen Zeit in der Geschichte korrupt, dekadent, sogar degeneriert genannt hätte. Dennoch war es dieses Verhalten, für das ich mich eingesetzt und schmerzliche Kämpfe geführt hatte, um es zu erringen und zu behalten, und von dem ich das Gefühl hatte, dass es mich im Grunde definierte. (Und eine ganze Generation mit mir.) Aber die Schwierigkeit bestand darin, dass, wenn das Pendel zu weit nach der anderen Seite ausschlug (was man immer wieder erleben kann, die Umschwünge von einem Extrem ins andere), die Gefahr des Abgleitens in den fanatischsten und unfruchtbarsten Puritanismus drohte. Und da viele von uns in Richtung sexueller und anderer Freiheiten vorgestoßen waren, lag die Annahme nahe, dass das Pendel schon in die Regionen der Genusssucht ausgeschlagen hatte … Gedanken dieser und ähnlicher Art waren schwierig – und konnten wie gewöhnlich mit niemandem geteilt werden –, ich schob sie einfach von mir.
Heute empfinde ich es als peinlich, wie ich damals über »die Suche«, »den Weg« dachte, und dennoch weiß ich, dass von einem Kind unseres Kulturkreises nichts Besseres erwartet werden konnte, dass ich eine von vielen war.
Wir im Westen und in den vom Westen dominierten Kulturen erwarten stets
alles
. Uns ist
alles
versprochen worden, explizit oder implizit. Wir glauben, dass wir das Gute verdienen. Wenn man uns sagt, dass es noch etwas gibt, etwas Wünschenswertes – einen
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