Schritte im Schatten (German Edition)
der ich kaum je etwas gehört und mit der ich mich schon gar nicht ernsthaft beschäftigt hatte. Obwohl ich keineswegs eine gute Schulbildung genossen hatte, hatte ich doch sehr viel gelesen, war Teil der intellektuellen Erregtheit jener Zeit gewesen, hatte sehr viele verschiedene Leute kennengelernt, war aber nirgendwo auch nur auf die Andeutung dessen gestoßen, was ich damals zu entdecken mich anschickte – das heißt, wenn ich von dem jämmerlichen »Spiritualismus« in meiner Schlussphase bei der kommunistischen Gruppe in Südrhodesien absah.
Nirgendwo in unserem Bildungswesen, unserem Kulturkreis war auch nur andeutungsweise die Rede von den großen Religionen, den großen spirituellen Traditionen des Ostens. Im Zentrum unserer eigenen Kultur findet sich die spirituelle Tradition des Christentums, von Autoren wie Johannes vom Kreuz oder Mutter Juliana von Norwich, von Büchern wie
The Cloud of the Unknowing
getragen. Aber das waren außergewöhnliche Individuen, mit einem besonderen Temperament begabt, über das, wie ich meine, nur sehr wenige Menschen verfügen. In der Regel sind sie lediglich religiösen Menschen ein Begriff.
Ich glaube, dass diese Lücke im Zentrum unseres Bildungswesens – damals absolut, aber inzwischen haben sich die Dinge ein wenig geändert – der Grund dafür war, dass junge Leute, die mit dem kessen, hochnäsigen, dünkelhaften und seichten Intellektualismus des Westens aufgewachsen waren, über keinerlei Schutzvorrichtungen verfügten, wenn sie einer östlichen Tradition und geschweige denn einer ihrer stark verwässerten Formen begegneten. In den gerade anbrechenden sechziger Jahren erlebten wir immer wieder, wie hochgebildete junge Leute plötzlich Scharlatanen, Gurus und allen möglichen Kulten verfielen, zur Verwunderung und Verzweiflung ihrer Eltern. Der Grund dafür war, dass ganze Regionen ihres Denkens brachlagen, sodass jedes Unkraut Fuß fassen konnte. Ich habe das in meiner Geschichte
Die Versuchung des Jack Orkney
darzustellen versucht.
Ich las zuerst über die verschiedenen Traditionen des Buddhismus. Der Buddhismus sollte für eine große Zahl von Menschen attraktiv werden und ist es noch heute. (Damals hatte noch kaum jemand etwas von ihm gehört. Es ist wirklich schwer, sich heute die absolute Ignoranz und die Sterilität unserer Ideen kurz vor dem Anbrechen der sechziger Jahre vorzustellen.) Der Buddhismus übt einen großen Reiz auf den gewalttätigen und kriegerischen Westen aus. Danach las ich über verschiedene Aspekte des Hinduismus, für mich faszinierend wegen seines Polytheismus, seines Heteromorphismus, genau wie der Katholizismus, der Götter und Heilige aus der Kultur in sich aufnimmt, in der er existiert. Aber ich bin keine Inderin. Ich weiß, dass es Unmengen von Seelen gibt, die Lungis, Saris und rote Stirnmale tragen und in Indien und anderswo in Ashrams leben. Aber ich las all die großen Klassiker des Ostens – die Vedas, die Bhagavadgita, die verschiedenen Zen-Schriften; ich las sie, um mich zu informieren, mit Genuss und Vergnügen, und vor allem zur Belehrung, aber immer kam ich zur gleichen Tür wieder heraus, durch die ich eingetreten war. Aber es gab eine Tatsache, die sich aus alledem ergab, eine grundlegende Tatsache, und das war die, dass man einen Lehrer braucht. Kein Lehrer, kein Führer, und man kann sich darauf verlassen, dass man in Schwierigkeiten gerät. Damals war es einfach das einzig Handfeste, an das ich mich in der Überfülle aus sehr unterschiedlichen Stimmen und Wegen anklammern konnte, aber seither ist es weit über das Theoretische hinausgegangen, denn jahrelang sollte ich immer wieder erleben, wie ungestüme Leute diese gefährlichen Regionen ohne einen Führer zu erkunden trachteten und auf alle möglichen Arten Schaden nahmen, von denen das Wahnsinnigwerden, zeitweise oder für immer, der häufigste war.
Wenn es etwas gibt, auf das wir Menschen im Westen stolz sind, dann ist es unsere Unabhängigkeit. Dessen war ich mir nicht einmal bewusst, bevor ich mich selbst herausforderte. Es fällt einem schwer, kostbare Selbstsicherheit aufzugeben, vor allem dann, wenn man sein Leben lang um sie gekämpft und sie verteidigt hat, sich bemüht hat, sie zurückzugewinnen, weil sie zeitweise abhandengekommen war, zum Beispiel als Kommunist. Wenn man eine Frau ist, fällt es besonders schwer, weil der Druck, dem man sich ausgesetzt sieht, so stark ist, vor allem der innere, emotionale Druck, der tückischer ist als der
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