Schritte im Schatten (German Edition)
ihre Tochter in die Jungfrau Maria verschossen war – darauf lief es hinaus –, eine Liste der Missetaten der Katholiken rezitierte, die alle ihre Entsprechung bei den Protestanten hatten; und mit welcher Erleichterung ich diese ganze juckende und lästige Last von meinen Schultern hievte und gegen den tapferen Stoizismus des Atheismus eintauschte. Ich wusste, dass ich das marxistische »Paket« aus keinem tieferen Grund akzeptiert hatte als dem, dass die Kommunisten, denen ich in Südrhodesien begegnete, dieselben Bücher gelesen hatten wie ich, in die Literatur verliebt waren, und weil sie die einzigen Leute waren, die ich kannte und von denen ich wusste: Sie hielten es für selbstverständlich, dass das weiße Regime zum Untergang verurteilt war. Aber wenn ich an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit geboren worden wäre, hätte ich mit derselben Mühelosigkeit auch jedes andere »Paket« akzeptiert, das dort und damals das korrekte war.
Und da war noch etwas. Beim Schreiben des Buches machte ich Erfahrungen, die nicht zu den Dogmen des »Pakets« passten. Ich hasse das Wort »Inspiration«, misstraue allen Behauptungen über übersinnliche Wahrnehmungen, aber ich hatte Dinge geschrieben, die außerhalb meiner persönlichen Erfahrungen lagen und sich trotzdem als wahr erwiesen. Ich will sie nicht auflisten, weil der Hunger der Menschen nach dem Seltsamen so stark ist, dass auch die bescheidensten Behauptungen zu ganzen Kosmologien aufgebläht werden.
Viele Schriftsteller haben erleben müssen, dass sie Ereignisse oder Gedanken beschrieben, die, wiewohl erfunden, sich später aber als wahr erwiesen haben. Um die Möglichkeit auszuschließen, dass ich von Menschen, die in dem »Paket« immer noch die einzige Möglichkeit der Wahrnehmung von Welt sehen, ernst genommen werde: Ich meine, dass das, was die Qualität unserer Gedanken ausmacht, mitunter von ihnen losgelöst, sie dann auch wieder durchkreuzend, die Struktur unseres Denkens oder unseres Seins ist, gewissermaßen ihre Wellenlänge, und dass Schriftsteller sich ihr oft anvertrauen, und sollte es auch nur für Augenblicke sein. Das ist meiner Meinung nach die Erklärung für das weitverbreitete Phänomen, dass Schriftsteller gleichzeitig mit anderen Schriftstellern auf dasselbe Thema, dieselbe Idee oder denselben Titel kommen, überzeugt, dass sie einzigartig und originell sind und unmöglich jemand dasselbe gedacht haben kann. Das ist mehr als nur einmal passiert. Irgendwo in unserer Nähe ist ein Meer von Ideen, sind feinere Schwingungen, und das macht sich bemerkbar, auch wenn dünkelhafte Materialisten dies heftig zu bestreiten pflegen.
Mir scheint, dass ich, als ich
Das goldene Notizbuch
schrieb, definitiv das Ende eines ganzen Spektrums von Ideen, Gedanken und Gefühlen erreicht hatte, dass die Welt, die ich als »unmöglich«, als »reaktionär« ausgeschlossen hatte, mich umhüllte, auf mich eindrängte, ihre Ansprüche stellte.
Ich begab mich auf die systematische Suche nach etwas anderem. Ich wusste nicht, wo oder wie ich danach Ausschau halten sollte. Da diese ausgeschlossene Welt in unserer Kultur oft nur von dubiosen Praktiken und Überzeugungen repräsentiert wird, wie Séancen, Horoskopen, Prophezeiungen und dergleichen, wurde ich immer wieder zurückgestoßen, folgte aber trotzdem beharrlich jeder nur denkbaren Spur – einem Hinweis in einem Buch, etwas zufällig Gehörtem, einer Bemerkung im Radio. So führte mich zum Beispiel Yeats zur »Golden Dawn«, aber Madame Blavatsky und Aleister Crowley führten mich wieder heraus. Ich wusste, dass es nicht das war, was ich suchte – Magie und Mysterien und bizarres Verhalten. All das zog sich über Monate hin und verlief parallel zu meinem normalen Leben; es gab niemanden, mit dem ich darüber hätte reden können, denn alle Leute, die ich kannte, klammerten sich fest an das »Paket«, egal ob sie zur Linken oder zur Rechten gehörten. Ich habe diese Suche in der Gestalt der Martha in
Die viertorige Stadt
beschrieben, aber verkürzt, bereinigt, vereinfacht – man kann einfach nicht die Irrungen und Wirrungen eines Lebens in einem Roman unterbringen, wenn man nicht will, dass die Leser gähnen und ihn beiseitelegen. Ich befand mich wieder in einer Situation, in der ich schon als junges Mädchen gesteckt hatte: Ich musste verschweigen, was ich dachte.
Mir wurde sofort eine grundlegende und überwältigende Tatsache bewusst – dass es eine Welt aus Ideen und Überzeugungen gab, von
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