Schritte im Schatten (German Edition)
anderen Frauen schliefen, denn das sei ebenso gut wie ein Aphrodisiakum. Frauen wüssten einfach nicht, was gut für sie sei. Er war erfüllt von dem rastlosen Gefunkel, das Schauspieler hinter der Bühne so an sich haben. Was mich anging, er habe mich immer angebetet, endlich lerne er mich kennen, und so ging es ein paar Minuten lang weiter, während Lindsay mit schulmeisterlicher Miene zuhörte und von Zeit zu Zeit sagte: »Das reicht, Robert, Schluss damit.« Und dann verschwanden sie alle wieder in die Nacht, von Lindsay dirigiert. »So, und nun kommt … es reicht … Zeit zum Schlafengehen.« Lindsay wusste, dass er sich absurd benahm, indem er die Rolle einer pedantischen Gouvernante spielte, wusste, dass er aufreizend, unmöglich war. Trotzdem war er immer liebenswert, aber ich habe keine Ahnung, worin seine Liebenswürdigkeit bestand. Und das war das Letzte, was ich von Robert Shaw sah, bis sie im Royal Court
The Changeling
gaben und Robert Shaw zusammen mit Mary Ure spielte und im Theater jedermann wusste, dass er irrsinnig in sie verliebt war. »Ich liebe diese Frau!«, wurde mit einer derartigen Leidenschaft gesprochen, dass das Leben selbst das Stück über den Haufen warf, und alle applaudierten.
Edward Thompson besuchte mich. Weshalb? Er muss einen Grund gehabt haben. Er wäre nicht einfach auf eine Tasse Tee hereingeschneit. Hinterher steht er vor meiner Wohnung auf der Straße. Es ist eine hässliche Wohnung und ein hässliches Gebäude, und die Straße hat auch nichts Inspirierendes an sich. Edward hebt die rechte Faust und deklamiert himmelwärts: »Babylon! Was tue ich in Babylon? Ich muss fort.« Und er schüttelt den Staub Londons von seinen Füßen und reist in den gesunden Norden.
Edward Thompson war damals ein Gefangener seiner Zeit, war als marxistischer Historiker der britischen Arbeiterklasse »eingefroren« in die Vergangenheit. Aber seine Zeitgenossen erinnern sich an ihn als jemanden, der von größerem geistigem Format war als die meisten Leute um ihn herum, romantisch, immer voller Leidenschaft in Debatten verstrickt, und mit jener Art von Fantasie begabt, die jede Szene erhellt, von der er entweder ein Teil ist oder die er mit grandiosen Hoffnungen für die Menschheit zu beschreiben sucht. Ich wollte, ich könnte glauben, dass in Großbritannien junge Edward Thompsons heranwachsen, die seinen Platz einzunehmen imstande wären, aber wir leben leider in einer missgünstigen, kalten, vorsichtigen Zeit. [35]
Kurz bevor ich aus der Langham Street auszog, wurde
Spiel mit einem Tiger
endlich aufgeführt, und ich verbrachte eine Menge Zeit bei den Proben, vor allem deshalb, weil ich mich mit Ted Kotcheff angefreundet hatte. Ich mochte Siobhan McKenna, aber es war unmöglich, sich mit ihr anzufreunden, weil sie nach der Vorstellung sofort mit trinkfreudigen Freunden zu Partys aufbrach, die die ganze Nacht dauerten, wilden Besäufnissen, jedem nur denkbaren erratischen und herausfordernden Verhalten, denn sie musste das wilde Kind sein, eine tolle Frau. Das war es, was Irland aus ihr gemacht hatte, die Rolle, die man ihr zugewiesen hatte, und sie spielte sie bis ins letzte Detail aus; das wundervolle dunkelrote, lange Haar war meistens ungekämmt, die klangvolle Stimme im ganzen Theater (oder wo immer sie sich auch aufhalten mochte) zu hören. Auf die Gefahr hin, mir alle möglichen Vorwürfe einzuhandeln, behaupte ich, dass irischer Künstler oder irische Künstlerin zu sein eine zusätzliche Belastung bedeuten kann. Man ist in Spanien, bei einer Dinnerparty, und anwesend ist der typische Ire mit seinen wilden poetischen Reden, seinem Charme, und er ist betrunken, er sagt, er ist auf einer Sauftour, ist seit drei Tagen nicht mehr zu Hause gewesen, und was wird seine arme Frau sagen? Seiner armen Frau bleibt nichts anderes übrig, als das zu tun, was sie schon so oft getan hat – sie muss ihm verzeihen, wenn er schuldbewusst zurückkehrt. »Oh, wie konntest Du nur?« Aber er konnte es tun, er hat es getan und wird es immer wieder tun, weil das im Drehbuch steht oder vielleicht eine Art Fluch ist; wenn man Ire ist und ein Dichter, dann ist einem vorgeschrieben, was man zu tun hat.
Ich war in Dublin und besuchte den Dichter John Montague. Er war mit einer französischen Aristokratin verheiratet, für die das Leben in dieser kleinen Wohnung nicht leicht gewesen sein kann, und er saß mit einer Flasche irischen Whiskeys in den Händen da, und wir unterhielten uns und lachten, während
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