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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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uns zu und sagte: »Hier gehören Sie nicht her. Sie gehören dorthin.« Wobei er auf den Nebenraum zeigte. Wir begaben uns demütig dorthin und gesellten uns zu unseresgleichen, der Mittelschicht. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Ausländer und aus dem Ausland Zurückkehrende beklagen sich über das Klassensystem. Aber die Briten – beider Klassen – sagen, ihr versteht das nicht, und machen weiter wie bisher. Die Arbeiterklasse und die Unterschicht haben ihren Platz im Leben »verinnerlicht«.
    Wenn ich in dieser Stimmung bitterer Kritik an Großbritannien war, dann war meine Einstellung – aber das begriff ich erst später – identisch mit der jener Leute, die in den dreißiger Jahren wegen dieser schrecklichen und schmutzigen Armut Kommunisten wurden. Gleiches gilt für die Einstellung der Leute, die aus Zorn in den Spanischen Bürgerkrieg zogen, da sich die Regierungen von Frankreich und Großbritannien weigerten, der legitimen spanischen Regierung Beistand zu leisten, als Hitler und Mussolini an Franco Waffen lieferten. Viele der Leute, die ich damals kennenlernte, empfanden angesichts dieser Politik tiefe Scham. (Gibt es diese Scham über das Verhalten der eigenen Regierung eigentlich auch heute noch? Ich glaube nicht. Eine Unschuld ging verloren.) Diese Scham war der Grund dafür, dass manche Leute Verräter und Spione wurden. Der Spanische Bürgerkrieg hinterließ ein schmerzhaftes Vermächtnis. Die Menschen haben vergessen, wie schlecht die Flüchtlinge aus Spanien behandelt wurden, jahrelang in Lagern nahe der Grenze eingesperrt, als wären sie Kriminelle, die bestraft werden mussten. Bis weit in die sechziger Jahre hinein gab es in Soho Pubs, in denen sich bitterarme Spanier trafen, um darüber zu reden, wie die Welt sie vergessen hatte, obwohl sie die Ersten waren, die gegen die Nazis und Faschisten gekämpft hatten. Es gibt Zyniker, die behaupten, genau das sei ihr Verbrechen gewesen.
    Und so trat ich in »die Partei« ein, wie sie allgemein genannt wurde. Ich hasste es, einen Mitgliedsausweis zu haben, so wie ich es überhaupt hasste, in irgendetwas einzutreten. Ich hasste Versammlungen und hasse sie noch heute. Ich halte das einfach fest – ein Chaos aus widersprüchlichen, verrückten Emotionen und Verhaltensweisen. Später, sehr viel später, im Grunde sogar erst kürzlich, fiel mir eine Erklärung dafür ein, weshalb so viele Leute der Kommunistischen Partei noch lange, nachdem sie sie eigentlich hätten verlassen müssen, die Treue gehalten haben. Aber vorerst genug davon.
    Noch etwas: Ich hatte zu viele Leute gesehen, die herumliefen und sagten: »Ich bin Kommunist«, aber nicht einmal im Traum daran dachten, in die Partei einzutreten. Ich verachtete sie. Schon wenig später sollte es in London eine neue Generation geben, deren Vertreter, um die Bourgeoisie zu schockieren, Mama und Papa zu ärgern oder bei sich und anderen einen angenehmen Schauder hervorzurufen, sagten: »Ich bin Kommunist.«
    Ich wurde von dem Kulturkommissar Sam Aaronivitch wegen meiner Überzeugung befragt –, einem militärisch auftretenden schlanken, strengen, jungen Mann, der begabt war mit jenem besonderen zynischen Humor seiner Zeit. Aufgewachsen unter ärmlichsten Verhältnissen im East End, war die Young Communist League seine Schule, aber nicht sein Kindergarten gewesen. Er war Jude und gehörte zu einem Volk mit einem Buch. Etliche Leute, die ihre Kindheit im jüdischen East End verlebt hatten, erzählten mir, dass sie Zeuge wurden, wie ihre Väter, Onkel, älteren Brüder und sogar Mütter am Küchentisch bei den oft kärglichen Mahlzeiten über Politik, Philosophie und Religion diskutierten. Weshalb hatte »die Partei« einen jungen Mann zum Kulturkommissar gemacht, der von moderner Literatur keine Ahnung hatte und sich nicht für Kunst interessierte? Die Befragung fand in der Zentrale der Kommunistischen Partei in der King Street nahe Covent Garden statt. (»King Street sagt …« – »Diese Idioten in der King Street …« – »Ich bin in die King Street bestellt worden, aber ich habe ihnen gesagt, dass …«) Er hörte sich an, was ich zu sagen hatte, wie ein Offizier, der einen Rekruten befragt, und sagte, er sei erstaunt, eine Intellektuelle kennenzulernen, die in die Partei eintreten wolle, während so viele austräten, und er sei schon jetzt gespannt, wie ich die Partei bei meinem Austritt schlechtmachen würde. Danach machte er mit mir einen Ausflug ins East End, wo er

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