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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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war nicht nur die Inbrunst, sondern eine Welt voll von Guten und Bösen, von Erretteten und Unerlösten. Wir erbten die gedankliche Zurüstung des Christentums. Hölle: Kapitalismus, von Grund auf böse. Ein Erlöser, vollkommen gut – Lenin, Stalin, Mao. Das Fegefeuer: Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen (Verbannung, Konzentrationslager und das Übrige). Danach das Paradies … dann der Himmel … schlussendlich Utopia.
    Ich war weit davon entfernt, eine wahre Gläubige zu sein. Einer der Gründe dafür war, dass Jack, die bedeutendste Liebe meines Lebens, die Konflikte oder, wenn man so will, die »Widersprüche« des Kommunismus verkörperte; elf seiner engsten Freunde, seine Genossen, seine wahre Familie, waren als Verräter gehenkt worden. Als ich zu Jack sagte, ich dächte daran, in die Kommunistische Partei einzutreten, sagte er, ich beginge damit einen Fehler. Es muss ihm entsetzlich wehgetan haben, das zu sagen. Dennoch wusste er nach allem, was er durchgemacht hatte, dass es reine Zeitverschwendung war, das zu sagen. »Du wirst dem entwachsen« – das war es, was ich hätte heraushören können.
    Von Arthur Koestler stammt der Satz, dass jeder Kommunist, der angesichts all des Beweismaterials in der Kommunistischen Partei blieb, eine heimliche Erklärung für das hatte, was passierte, und dass er nicht mit Freunden und Genossen darüber diskutieren konnte. Einige der Kommunisten, die ich kannte, waren zu dem Schluss gelangt, ja, die Verbrechen, von denen man gehört hatte, waren wirklich begangen worden – aber
natürlich
nicht so schlimm gewesen, wie die kapitalistische Presse behauptete –, doch Genosse Stalin konnte unmöglich wissen, was vorging. Die Wahrheit wurde vor »Uncle Joe« geheim gehalten. Meine Erklärung, meine »heimliche Überzeugung« – über die ich natürlich mit niemandem außer Jack reden konnte – war, dass die Führerschaft der Sowjetunion korrupt geworden war, dass aber überall in der kommunistischen Welt die guten Kommunisten warteten, sich miteinander berieten und die Macht übernehmen würden, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. Dann würde der Kommunismus seinen Marsch zur gerechten Gesellschaft fortsetzen. Der vollkommenen Gesellschaft. Das Ganze hatte nur einen Schönheitsfehler: Ich hatte nicht bedacht, dass »Uncle Joe« sie alle ermordet hatte.
    Und dann gab es da noch das englische Klassensystem. Es schockierte mich wie alle Leute aus den Kolonien. Großbritannien besteht aus zwei Nationen; die Situation ist inzwischen etwas, aber nicht viel besser geworden. Als ich ankam, ermöglichte mir mein rhodesischer Akzent, mit den »Eingeborenen« zu reden, das heißt, der Arbeiterklasse. Sie sahen in mir etwas, das nicht mit einem Tabu belegt war. Aber das Sprechen wurde unmöglich, als ich anfing, das Standardenglisch der Mittelschicht zu verwenden; das geschah nicht aus freiem Willen, ich mache mir, wo immer ich bin, Akzente zu eigen, die ebendort gesprochen werden. Es war, als ob einfach ein Vorhang fiel. Ich rede von einer Behandlung als Gleichgestellter, nicht von der anbiedernden, etwas herablassenden »Nettigkeit«, die den oberen Gesellschaftsschichten eigen ist. Und dann stellte ich fest, dass Leute, die die dreißiger Jahre mit Tee, Brot, Margarine und Marmelade überlebt hatten, die jahrelang arbeitslos gewesen waren und in erbärmlichen Slums lebten, die Konservativen wählten.
    Vorfall I: Einer meiner Freunde, der in Rhodesien in der Royal Air Force gewesen war, lud mich zum Lunch ein und sagte: »Sie könnten lernen, die Schranke zu überwinden. Frauen können das gut.« Das war nett gemeint. Er hatte mich eigens zum Lunch eingeladen, um mir das zu sagen. Er wusste nicht, was ich meinte, als ich ihm antwortete, ich hätte nicht die Absicht, zu lernen, »die Schranke zu überwinden«. Diese Art Mensch wurde nicht unbedingt bewundert. Nur sechs oder sieben Jahre später, mit dem Aufkommen der sogenannten »zornigen jungen Männer«, sollte es unnötig werden, diese Einstellung zu rechtfertigen, aber damals musste man es noch. Unerfreulich und peinlich für beide Seiten.
    Vorfall  II : Mit einem anderen Mann, gleichfalls früherer Angehöriger der Royal Air Force, betrat ich einen Pub in Bayswater. Es war ein gewöhnlicher Schankraum. Wir standen am Tresen und bestellten Drinks. Rings um uns herum saßen Männer und beobachteten uns. Sie kommunizierten ohne Worte miteinander. Einer stand auf, langsam, entschlossen, kam auf

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