Schritte im Schatten (German Edition)
regelrecht Lügen erzeugt, Leute dazu bringt, zu lügen, Tatsachen zu verdrehen und andere zu täuschen. Was ist dieses Etwas? Diese Kraft? Man darf kein einziges Wort glauben, das einer kommunistischen Quelle entstammt. Der Kommunismus ist in der Tat ein Reich der Lügen. Stalin, der große Täuscher, war nur zum Teil dafür verantwortlich, denn es war Lenin, das große Vorbild, der die Vorlage zu allem lieferte. »Desinformation« war – ist? – nur eine Ausprägung der tiefsten Natur des Kommunismus. Aber diese Wasser sind zu tief, als dass ich sie ausloten könnte; trotzdem bin ich sicher, dass es da etwas gibt, das jenseits der taghellen Welt des gesunden Menschenverstands und der einfachen Zusammenhänge lebt, für die wir damals kämpften.
Unsere Gruppe war in sich unglaubwürdig. Zuerst Naomi Mitchison. Sie war eine der Autorinnen, die in den dreißiger Jahren Neuland für Frauen erschlossen hatten, insbesondere mit dem Roman
Kornkönig und Frühlingsbraut
. Sie war Stadträtin in Schottland, Farmerin und tatkräftiges Mitglied der Labour Party, ebenso wie ihr Mann, der Parlamentsabgeordnete Dick Mitchison. A. E. Coppard hatte einige der besten englischen Kurzgeschichten geschrieben, leise, ironisch, humorvoll – und scharfsichtig wie er selbst. Aber leider war die Tatsache, dass er sich in den Kommunismus verliebt hatte, seiner klaren Sicht der Dinge nicht gut bekommen. Richard Mason behauptete, er selbst fahre in die Sowjetunion, weil er im Vorjahr in Lourdes gewesen sei und die Reise in hübschem Kontrast dazu zu stehen verspreche. In jedem Fall sei sie eine beeindruckende Erfahrung. Aber er trug eine Maske und spielte die Rolle eines Philisters, eines pfeiferauchenden Engländers im Tweedanzug, phlegmatisch und wortkarg. In Wirklichkeit war er eine romantische Seele. Arnold Kettle gehörte dieser Delegation an, weil Naomi ihn eingeladen und die Partei es gutgeheißen hatte. Ich hatte Kurzgeschichten und einen Roman geschrieben. Beides hatte gute Kritiken erhalten.
Als wir uns am Flughafen trafen, betrachteten fünf von uns Arnold Kettle voller Argwohn und Vorsicht, aber seine Gelassenheit und sein gesunder Menschenverstand machten ihn sofort zum Mentor der Gruppe. Das passierte oft: Kommunisten, die man für Dämonen gehalten hatte, machten, wenn man sie persönlich kennenlernte, einen überraschend vernünftigen Eindruck.
Unsere Ansichten über die Sowjetunion hätten kaum unterschiedlicher sein können, aber wir rauften uns zusammen, zum Teil wegen der hysterischen Aufmerksamkeit, die die Zeitungen uns zuteil werden ließ und die uns zwang, enger zusammenzurücken, zum Teil aber auch, weil Arnold darauf bestand, dass wir, ungeachtet unserer Differenzen, ein einheitliches Bild nach außen vermittelten. Offenkundig war es die Linie der Partei. In jedem Fall überraschte es den »rechten Flügel« – Naomi und Douglas – und brachte A. E. Coppard auf, weil er lediglich den Kommunismus im Namen der gesamten britischen Nation öffentlich und für alle Zeiten umarmen wollte. Sein Problem war, dass er völlig unpolitisch war, sozusagen nicht gegen Politik geimpft, und seine erste Begegnung mit ihr hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Richard Mason war seiner Natur und seinen Intentionen nach gleichfalls unpolitisch. Also ergab es sich, dass Arnold und ich die mittlere Position einnahmen, was eindeutig meinem Temperament und, natürlich, meiner Selbstwahrnehmung entsprach. Heute glaube ich, wenn wir uns öffentlich, vor den Augen der Russen, gestritten hätten, dann hätte dies ihnen zumindest ein ehrlicheres Bild von der Einstellung der Briten zum Kommunismus geliefert. Aber mit jeder Stunde, die wir zusammen verbrachten, fühlten wir uns immer mehr als Briten und als Patrioten. Diese »Einheitsfront« stand, sobald wir mit den Russen zusammentrafen, denn sie alle waren altmodische Nationalisten. Das hört sich an wie eine simple Feststellung, auf die man mit einem
Well, of course!
reagiert. Aber diese Form von Nationalismus hatte nichts zu tun mit der Lauterkeit des utopischen Kommunismus, der zufolge alle Menschen einander lieben sollten. Unsere Gastgeber reden zu hören wie den Erzreaktionär Colonel Blimp erinnerte mich voller Unbehagen an die Stunden, die wir in der Gruppe in Südrhodesien miteinander verbracht und wo wir versucht hatten, die Irrungen und Wirrungen der »Parteilinie« zu begreifen. Das waren Meisterwerke der Dialektik gewesen, insbesondere vonseiten Gottfrieds, der
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