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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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den beiden Wochen, die ich dort verbrachte, lag ich nachts oft wach im Wohnzimmer auf einem Sofa direkt unter ihrem Schlafzimmer und hörte meinen Gastgeber über mir husten. Er war von der Arbeit im Schacht lungenkrank und wusste, dass er bald sterben würde. Er wollte nicht, dass seine Kinder auch nur in die Nähe der Grube kamen, es war ein Hundeleben.
    Als ich mit ihm durch die Straßen ging, sah ich eine Gruppe von jungen Bergleuten, die gerade ausgefahren waren und nach dem Duschen in der Waschkaue ihre billigen, besten Anzüge angezogen und rote Tücher umgebunden hatten. Sie wollten den Abend in Doncaster verbringen. Sie grüßten meinen Gastgeber und nickten mir zu. Der alte Bergmann überschüttete sie mit zorniger Anteilnahme: Was sie denn essen würden, sie sähen nicht gut aus, diese Tücher hielten sie ganz sicher nicht warm. Man konnte sehen, wie sehr sie ihm zugetan waren.
    Meine Begegnung mit ihm ging in die Kurzgeschichte
England gegen England
ein.
     
     
    Die Ausstellung meines Parteiausweises musste hinausgeschoben werden. Ich war eingeladen worden, für Authors World Peace Appeal in die Sowjetunion zu fahren; damals gab es massenhaft derartige Organisationen mit hochtrabenden Namen. Diese war von Naomi Mitchison und Alex Comfort gegründet worden. Nur wenige Leute fanden sich zu dieser Reise bereit. Ich bekam Briefe und Anrufe, in denen man mich warnte, ich würde in einem Konzentrationslager verschwinden. Wenn ich entgegnete, es sei doch ziemlich unwahrscheinlich, dass der sowjetische Schriftstellerverband zulassen werde, dass namhafte Besucher verschwänden – das wäre doch bestimmt schlechte Reklame für ihn? –, dann erklärte man mir (wie Moidi Jokl zu Gottfried gesagt hatte): »Sie haben keine Ahnung vom Kommunismus. Es würde Ihnen nur recht geschehen, wenn man Sie kaltmachte.«
    Wir waren insgesamt zu sechst: Naomi Mitchison, ihr Cousin Douglas Young, weil er Russisch sprach, Arnold Kettle, ein bekannter marxistischer Literaturkritiker von der Universität Leeds, A. E. Coppard, der Verfasser von Kurzgeschichten, Richard Mason, der Autor von
Denn der Wind kann nicht lesen
, einem Romanbestseller über einen jungen englischen Soldaten, der eine Halbblut-Krankenschwester liebt, und ich, eine sehr neue Schriftstellerin. Unsere Gruppe, das war uns bewusst, entsprach kaum dem literarischen Niveau, das sich die Russen für den ersten Besuch von Schriftstellern aus dem Westen nach dem Krieg erhofft hatten.
    Bereits die Vorbesprechung der Reise verlief turbulent. Alex Comfort war der Gedanke zutiefst zuwider, dass der Delegation ein Kommunist, Arnold Kettle, angehören sollte, dem er unterstellte, uns hinters Licht führen und einen Haufen Lügen auftischen zu wollen. Naomi bestritt das. Sie kannte Arnold. Er war ein reizender junger Mann. A. E. Coppard, in politischen Dingen ein Unschuldsengel, hatte an der Friedenskonferenz in Wrocław (Breslau) teilgenommen und sich dort regelrecht in den Kommunismus verliebt, als hätte man ihm einen Zaubertrank verabreicht. Die Versammlung entwickelte auf den Druck von Alex Comfort hin einen detaillierten Plan, wie Arnold zu überlisten war. Nach meiner Erinnerung war auch Richard Mason anwesend.
    Zwischenzeitlich hatte King Street entschieden, dass es keinen guten Eindruck machen würde, wenn der Delegation zwei Kommunisten angehörten; einer war genug. Ich wurde aufgefordert, mit dem formellen Eintritt in die Partei bis nach meiner Rückkehr zu warten. Das löste ein ungutes Gefühl in mir aus. Ich war kein Mensch, der Täuschungsmanöver liebte. Ich neigte viel eher zu unumwundener, direkter Offenheit, was mir oft als Taktlosigkeit ausgelegt wurde.
    Als ich mich später mit Leuten über diesen Vorgang unterhielt, die Bescheid wussten, erklärte man mir, dass das einer typisch kommunistischen Taktik entsprochen habe. Ich sei von Anfang an in eine Lage versetzt worden, die mich zu einer Unehrlichkeit zwang, die man bloßstellen konnte. Das leuchtete mir ein, bis ich anfing, etwas viel Tieferes zu begreifen. Worin lag der Grund, dass überall in Parteinähe die Fakten verdreht wurden und Leute Dinge sagten, von denen man wusste – und auch gewusst haben musste –, dass sie falsch waren? Man nennt den Teufel auch Vater der Lüge, eine Bezeichnung, die andere, ältere Begriffe wie »das Reich der Lügen« heraufbeschwört. Im Lauf der Zeit bin ich immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass es etwas in der Natur des Kommunismus geben muss, das

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