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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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mit marxistischen Wahrheiten jonglierte. Wenn die Russen gewusst hätten, wie lokale Kommunisten in aller Welt luftige Erklärungsgespinste dafür woben, weshalb die russischen Genossen diese oder jene unvorstellbare Handlung begingen, dann hätten sie sich wahrscheinlich totgelacht. Wie recht hatten ich und auch Gottfried doch gehabt, als wir sagten, dass keine wirkliche kommunistische Partei in irgendeinem Land unsere idealistischen Hirngespinste für voll nehmen würde. Aber mit diesem krassen, alles vereinfachenden Nationalismus hatte ich nicht gerechnet – aber warum eigentlich nicht? Die Russen, oder vielmehr Stalin, hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht. Über dieses innere Unbehagen diskutierte ich mit Arnold, denn die anderen hätten uns nicht verstanden. Wir gelangten zu dem Schluss, dass der Krieg für die Russen so grauenhaft gewesen sein musste, dass sie sich ganz einfach in den Nationalismus hatten zurückziehen müssen. Den Russen musste man wegen dieses Krieges alles verzeihen. Sie hatten bei der Belagerung von Leningrad mehr Menschen verloren als die Briten und Amerikaner zusammen im ganzen Krieg. Deshalb sagte der Tscheche Jack immer zu mir: »Ihr Leute hier könnt das einfach nicht verstehen.« »Die Sowjetunion« und »Russland« waren damals austauschbare Begriffe, so unwahrscheinlich sich das heute auch anhören mag.
    Meine Erinnerungen an diese Reise sind nicht dieselben wie die von Naomi. Das musste ich fünfundzwanzig Jahre später feststellen. Dabei ging es nicht darum, dass wir unterschiedliche Erinnerungen an dieselben Dinge hatten, sondern wie es kam, dass wir scheinbar zwei verschiedene Reisen unternommen hatten. Diese Erfahrung, die für mich etwas zutiefst Bestürzendes an sich hatte, markierte den Beginn meines Versuchs, die außerordentliche Unsicherheit von Erinnerungen zu verstehen; vorher hatte ich es für selbstverständlich gehalten, dass Leute mit den gleichen Erlebnissen sich auch an die gleichen Dinge erinnerten. Zumal dann, wenn sie so beeindruckend waren wie die auf dieser Reise nach Russland. Mit Arnold hatte ich weniger Probleme: Unsere Erinnerungen glichen sich mehr oder weniger.
    Ich bin selten so hin und her gerissen, verblüfft, enttäuscht, hellwach und
lebendig
gewesen wie auf dieser Reise, und die Erinnerungen an sie gehören zu den lebhaftesten, die ich habe. Das Thema Erinnerung wirft eine grundlegende Frage auf: Weshalb erinnern wir uns an dieses und nicht an jenes, vor allem, wenn
dieses
nicht sonderlich wichtig, sondern im Gegenteil völlig belanglos war. Ich glaube, wir erinnern uns an unser Tun, weil wir aus diesem oder jenem Grund besonders wach waren, aufpassten,
anwesend
waren, denn sehr häufig sind wir nicht anwesend, sondern denken daran, was wir zum Frühstück gegessen haben, was wir morgen vorhaben oder was wir zu irgendjemandem gesagt haben. Weshalb wir zu manchen Zeiten wacher und lebendiger sind als zu anderen, ist eine ganz andere Frage, die in tieferes Wasser führt. Nun, ich war auf dieser Reise ganz eindeutig anwesend, jede Minute, und das ist der Grund für meine Erinnerungen an sie. Ich habe oft daran gedacht, darüber zu schreiben, mich dann aber dagegen entschieden. Welchen Sinn hätte das gehabt? Alles, was über die Sowjetunion gesagt oder geschrieben wurde, löste derart heftige, erbitterte oder parteiische Reaktionen aus, dass nicht mit einer gelassenen Beurteilung zu rechnen war. Außerdem war das, woran ich mich erinnerte, für meine Mitdelegierten nicht gerade schmeichelhaft. Sicherlich waren sie über mich zu ähnlichen Ansichten gelangt.
    Und jetzt ist alles, was geblieben ist, der Klang ferner Trommeln …
    Unsere offiziellen Gastgeber waren der Sowjetische Schriftstellerverband und sein Vorsitzender Alexei Surkow, dessen Name bald zum Synonym für die Unterdrückung anständiger Schriftsteller durch die Sowjetideologie werden sollte. Er war ein gewöhnlich aussehender Mann in dem Stil, dessen sich die sowjetischen Funktionäre damals bedienten, um zu überzeugen: der raue, aber herzliche, offene, ehrliche Nehmt-mich-wie-ich-bin-Surkow, der Freund der Freunde der Sowjetunion. Hinter ihm stand der KGB und überwachte und dirigierte jedes Wort und jede Handlung. Ob wir das wussten? Ja, aber unsere Einstellung zum KGB war naiv, um es bescheiden auszudrücken. Und außerdem von unserer Arroganz geprägt. Wir machten in unseren Hotelzimmern Witze darüber, dass der KGB unsere Telefone anzapfen und der Portier unsere Habe

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