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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Ernst des Anlasses! Unsere Verantwortung als Repräsentanten unseres Landes! Heute frage ich mich, ob das nicht eine ziemlich gute Methode war, auf all diese Rhetorik und Schwülstigkeit, auf das Unmögliche der Situation zu reagieren.
    Danach nahm sich Douglas Young der Sache der ausgebeuteten Kolonien an; er sprach für Schottland, Englands Vasallen … Er trug während dieser Reise zeitweise einen Kilt, um seiner Einstellung Nachdruck zu verleihen. (Er war sehr groß und dünn, ein Kilt wirkte an ihm noch dramatischer als an gewöhnlichen Männern.) Bei jeder sich bietenden Gelegenheit stand er auf und sprach für das mit Füßen getretene, unterdrückte Schottland. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er ein aufrechter schottischer Nationalist war, aber er übertrieb maßlos. Jedes Mal, wenn er von unterdrückten Nationen sprach, mussten die Kommunisten aufspringen und applaudieren, so dass jede Versammlung, an der wir teilnahmen, beständig von Ausbrüchen lautstarker Heuchelei unterbrochen wurde.
    Die Details von dem, was beide Seiten sagten, sind mir entschwunden, aber nicht meine Gefühle. Was ich fühlte, war die direkte Fortsetzung dessen, was mir von meinen Eltern, besonders von meinem Vater, eingetrichtert worden war: »Du verstehst einfach nicht das Grauenhafte von …« – in diesem Fall des Zweiten Weltkriegs, wie die Russen, die Sowjetunion, ihn erlebt hatten, ihr Gefühl der Isolation, das niemand verstehen konnte, der nicht am Krieg teilgenommen hatte. Aus sehr persönlichen Gründen teilte ich diese Gefühle mit Arnold. Wir beide identifizierten uns gefühlsmäßig mit den Russen. Bestimmte Argumente – es waren keine Diskussionen, lediglich das Darlegen unserer so unterschiedlichen Positionen – wiederholten sich ständig. Die Russen griffen uns gemäß ihrer Überzeugung an, die Literatur müsse den Fortschritt des Kommunismus unterstützen, das Recht der Partei, darüber zu entscheiden, was geschrieben und publiziert werden sollte, die Verantwortung der Kommunistischen Partei für die glorreiche Zukunft der gesamten Menschheit. Wir verteidigten unsere Position, die Integrität des individuellen Gewissens, individuelle Verantwortung, die Pflicht der Künstler, die Wahrheit so darzustellen, wie sie sie sahen. (Nein, diese Debatte ist keineswegs beendet: Heute sind es die Verteidiger der Political Correctness, die eine ähnliche Position vertreten.) Die Russen, jedenfalls die meisten von ihnen, machten eine ernsthafte Auseinandersetzung dadurch unmöglich, dass sie behaupteten, eine offizielle Zensur sei im Grunde unnötig. »Kommunistische Schriftsteller entwickeln einen inneren Zensor, der ihnen sagt, was sie schreiben dürfen.« Dieser innere Zensor erschien uns als das Grauen schlechthin; dass sie dergleichen verteidigten – sich dessen sogar rühmten –, schockierte uns.
    Ein anderes Problem war ihre Einstellung zu Stalin. Stalins Name wurde nie ohne eine lange Liste von Ehrentiteln ausgesprochen – der Große, der Ruhmreiche … Der Grund lag in dem Umstand, dass auch nur der leiseste Hauch einer Kritik an Stalin sie unweigerlich in ein Konzentrationslager befördert hätte. Nein, das war nicht zu verstehen. Wir sagten, wir seien skeptisch gewesen, als wir in den Berichten über ihre Versammlungen gelesen hätten, Genosse Stalin habe fünf Stunden gesprochen, und der anschließende Applaus habe eine halbe Stunde gedauert. In unserer Kultur, prahlten wir, gebe es diese Art von Ehrerbietigkeit gegenüber einem Führer nicht. Schon das Wort »Führer« hatte einen peinlichen Beigeschmack. Jahrzehnte später las ich während der Regierungszeit von Margaret Thatcher zu meiner großen Erbitterung: »Fünfzehn Minuten heftiger Beifall.« So bestraft die Zeit unsere Überheblichkeit.
    Arnold versuchte wiederholt, Zusammenkünfte mit dem Ziel zu arrangieren, die Mitglieder der Delegation, den »rechten Flügel« – Naomi und Douglas – und den »linken Flügel«, Coppard, zusammenzubringen. Arnold und ich berieten uns dann hastig, weil wir erschöpft waren von der Intensität des Erlebnisses, spätabends in meinem Zimmer. Naomi wollte, in unser aller Namen, eine Erklärung abgeben, die die Lager verurteilte und der Demokratie ein Loblied sang. A. E. Coppard drohte, wenn sie das tue, werde er auf seinem Recht bestehen, zu erklären – in unser aller Namen –, dass die Sowjetunion die Hoffnung der gesamten Welt sei und dass den Briten von der Regierung ein Haufen Lügen über das

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