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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Schwarzensiedlungen und Kneipen von Salisbury aussah. Diese Geschichte ist oft übersetzt und nachgedruckt worden, und dennoch schäme ich mich ihrer. Ich wäre froh, wenn sich etliche meiner frühen Kurzgeschichten einfach in Luft auflösen würden. Was mich an dieser Erzählung heute stört, ist die Sentimentalität, die häufig ein Anzeichen für eine unlautere Absicht ist; in diesem Fall der, eine Erzählung mit einer Moral zu schreiben.
    Naomi, Oksana und ich stehen in der Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz, und Naomi hält Oksana einen Vortrag über den russischen Mangel an Geschmack. Während dieser ganzen Reise hat Naomi ästhetisch gelitten. Alles war hässlich und zweitklassig. Wenn Arnold und ich etwas über den Krieg murmelten, dann sagte sie: »Unsinn, sie produzieren neue Materialien und neue Möbel, und sie sind schaurig.« Sie wies Oksana auf die Muster an den Wänden und den Decken hin und sagte: »Also, wenn ihr so etwas habt, weshalb druckt ihr dann so
schauderhafte
Muster auf eure Kleiderstoffe?« Oksana war verwirrt. Sie wusste nicht, dass die Muster auf den neuen Baumwoll- und Seidenstoffen schauderhaft waren. Als Naomi ihr den Liberty-Rock zeigte, den sie trug, begriff sie nicht, weshalb er besser sein sollte als die Baumwollballen, die sie uns an diesem Morgen gezeigt hatte. Sie hielt die Muster an den Wänden der Kathedrale für alt und altmodisch. Hinterher fragte sie mich, warum Mrs. Mitchison, wo sie doch eine reiche Dame sei, Baumwolle und nicht Seide trage. Denn wenn man es sich leisten könne, trage man natürlich ausschließlich Seide. Oksanas bestes Kleid sei aus Seide. »Und außerdem sehr hübsch«, sagte Richard Mason galant. Arnold und ich sprachen darüber, wie herablassend Naomi unsere Gastgeber behandelte, dass sie offensichtlich nicht einmal wusste, dass sie es tat, und wie wir sie daran hindern konnten. Wir stellten sie sogar zur Rede. »Naomi, du musst aufhören, ständig ihre Gefühle zu verletzen. Das lassen wir nicht zu.«
    »Aber ich verstehe das alles einfach nicht«, sagte Naomi mit ihrer volltönenden Stimme. »Weshalb können sie ihre Möbel nicht nach guten Modellen herstellen, anstatt diesen Mist zu produzieren?«
    »Aber Naomi«, sagte der Intellektuelle Arnold, »genau das passiert, wenn eine bäuerliche Tradition vernichtet wird – sie suchen sich ihre Vorbilder in etwas Modernem. In ihrer alten Lebensweise hatten sie Geschmack, aber jetzt müssen sie einen Geschmack in der neuen entwickeln.«
    »Das kann sein«, sagte Naomi, »aber ich werde trotzdem sagen, was ich denke. Diese Delegation soll Brücken schlagen. Und deshalb werde ich fortfahren, ihnen zu sagen, was für einen schauderhaften Geschmack sie haben.«
    »Dann werden wir, wenn wir wieder zu Hause sind, der Presse sagen, dass du deine ganze Zeit damit verbracht hast, den Russen Vorträge über ihren Schönheitssinn zu halten.«
    »Aber, Arnold, mein lieber Junge, das kann doch nicht dein Ernst sein.«
    »
Du verletzt ihre Gefühle
, Naomi«, sagte Arnold mit Tränen in den Augen.
    In Leningrad wurden Naomi und ich gefragt, ob es uns etwas ausmache, ein Zimmer zu teilen. Das kam uns seltsam vor. Ich brauchte sehr lange, um zu begreifen, dass sie wahrscheinlich daran interessiert waren, unsere Unterhaltungen mitzuhören. Da es August war, waren die Nächte nicht mehr ganz weiß, aber fast; es gab nur wenige Stunden vollständiger Dunkelheit. Erschöpft fiel ich ins Bett, ein Doppelbett, und da war Naomi und drängte mich, ihr von meinem Liebesleben zu erzählen, damit sie mir von ihren Liebhabern in den zwanziger Jahren berichten konnte. Mir war, als wäre ich wieder in der Schule, mit unanständigen Unterhaltungen im Schlafsaal. Sie sagte, die jungen Frauen heutzutage seien fürchterlich rückständig. Ich schlief ein.
    Leningrad war eine traurige Stadt, grau und elegant, mit von Kugeln durchsiebten Mauern, die von Rissen durchzogen waren. Zehn Jahre zuvor waren im Verlauf der Belagerung zwei Millionen Menschen umgekommen. Wir besichtigten einen Palast nach dem anderen, alle in dem Stil erbaut, von dem ich weiß, dass manche Menschen ihn lieben: nichts als vergoldete Schnörkel und Cupidos, rosiges Fleisch, blaue und rosa Bänder, Kartuschen, ein architektonisches Gelage aus Schmollmündern und Grübchen. Die russischen Zaren hatten Frankreich angebetet und dem französischen Stil mit ihren Palästen nachzueifern gesucht. Sogar das Kinderhaus, das wir besuchten, war ein ehemaliger Palast, und

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