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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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sechs und unsere Gastgeber, angeführt von Alexei Surkow, standen vor einer Gruppe von Kolchosbauern. Wir wurden vorgestellt. Ein alter Mann in einem weißen Bauernkittel, wie Tolstoi ihn trug, trat vor und bedeutete uns, er wolle etwas sagen. Sofort versuchten die anderen, dazwischenzutreten und ihn in die Gruppe zurückzudrängen. Er entzog sich ihnen und erklärte noch einmal, er müsse uns etwas sagen. Schweigen. Oksana hatte offensichtlich Angst. Der alte Mann redete. Oksana übersetzte, und Douglas Young, der Russisch beherrschte, unterbrach sie: »Nein, Sie übersetzen das nicht richtig«, sagte er rundheraus, wie ein Professor. Der alte Mann richtete seine Worte an ihn, und Douglas übersetzte, während Oksana die Hände zusammenpresste, als ob sie betete. »Ihr dürft nicht glauben, was man euch erzählt. Besuchern aus dem Ausland werden Lügen erzählt. Ihr dürft nicht glauben, was man euch zeigt. Unser Leben, das Leben des russischen Volkes – ist entsetzlich. Ich spreche für das russische Volk. Ihr müsst nach England zurückkehren und dort allen Leuten von dem erzählen, was ich sage. Der Kommunismus ist grauenhaft …« Nach diesen Worten wurde er von den anderen zurückgezerrt, aber er blieb einfach unter ihnen stehen und schaute uns mit brennenden Augen an, während jene ihn mit Vorwürfen überhäuften. Das war erstaunlich – sie redeten auf ihn ein und beschimpften ihn, aber sie wichen nicht vor einem Paria zurück. Und während des langen, immer wieder von ausgebrachten Toasts unterbrochenen Essens, das sich anschloss, saß er stumm da und sah uns an, während die Übrigen ihm Vorhaltungen machten – liebevoll, das war ganz offensichtlich. Zu jener Zeit verschwanden Leute wegen wesentlich geringfügigerer Vergehen in einem Gulag. Es gab kein schlimmeres Verbrechen, als derartige Dinge zu Ausländern zu sagen. Er wusste, dass man ihn verhaften und beseitigen würde.
    Während dieses Essens vergnügte sich Coppard damit, mit der Lehrerin und der Krankenschwester der Kolchose zu flirten. Er hatte eine Schwäche für hübsche junge Frauen. Diese beiden sahen gut aus und erwiderten seine Avancen.
    Ich versuche mir dies als Szene in einem Film vorzustellen, aber es ist einfach zu grauenhaft. Da ist ein langer, mit Speisen beladener Tisch, Blumen, Wein, ein Bankett. Da sind die Leute von der Kolchose, speziell ausgesucht, um die sowjetischen Bauern zu repräsentieren. Da sind wir, die glücklichen Delegierten, freudig erregt und selbstzufrieden, wie das auf solchen Ausflügen üblich ist. Da sind die Parteifunktionäre, ganz Leutseligkeit. Da ist der alte Mann in seinem Kittel, der den Blick keine Sekunde von uns abwendet. Coppard flirtet. Wir halten Reden. Douglas Young erinnert uns alle an die Leiden der schottischen Bauern. Naomi redet über die britische Art, Landwirtschaft zu betreiben, und vergleicht sie in harten Worten mit dem, was wir unterwegs gesehen haben.
    In der Toilette hängt eine gerahmte Kopie von Kiplings
If
. Alle erklären uns, dass das ihr Lieblingsgedicht sei und sie es auswendig kennen würden.
    Das nächste Mal, dass ich
If
an der Innenseite einer Toilettentür sehen sollte, war auf einer großen, reichen Farm in Kenia, wo überall Fotos von der Queen hingen.
    Wir wurden in ein Gebäude geführt, das voll war mit Geschenken an Stalin von seinen dankbaren Untertanen. Es war traurig, weil sie zum größten Teil grässlich waren und gleichzeitig so etwas wie Relikte einer echten bäuerlichen Volkstradition. Wir bekamen Teppiche zu sehen, deren Mitte sein Gesicht einnahm, geschnitzte Kästchen mit seinem Gesicht oder Metallarbeiten – wieder und wieder
sein
Gesicht. Ich ließ die anderen zurück und ging nach draußen, um eine Weile für mich zu sein. Dort beschloss ich, eine Geschichte über den Kommunismus als Weltformel zu schreiben, weil ich mir auf sehr unbehagliche Weise unserer Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit bewusst wurde. Es würden sehr gute und sehr schlechte Personen darin vorkommen, wie bei Dickens. Ich habe sie geschrieben. Sie trägt den Titel
Hunger.
Sie handelt von einem jungen Mann aus einem Dorf in Afrika, der sein Glück und sein Leben riskiert, indem er in die große Stadt geht; das war ein ständig wiederkehrendes Thema in unserer Zeit, nicht nur in Afrika. Das Hintergrundwissen stammte von Afrikanern, die ich kannte und die, wenn ich sie fragte, mir genau beschreiben konnten, wie dieses und jenes in einem Dorf gemacht wurde und wie es in den

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