Schritte im Schatten (German Edition)
Entbehrungen des Krieges lautlos und unsichtbar an ihnen zehrten, Energie verschluckten wie ein schwarzes Loch, wurde von etwas ganz anderem aufgewogen. Das ist es, was mir aus heutiger Sicht an dieser Zeit am bemerkenswertesten vorkommt – der Kontrast. Auf der einen Seite die Niedergeschlagenheit, ein Patient, der durchzuhalten versucht, auf der anderen Seite aber ein Zukunftsoptimismus, der so weit von dem entfernt war, was wir heute zu denken gewohnt sind, dass er fast das Symptom einer allgemeinen Torheit zu sein schien. Nichts Geringeres als ein neues Zeitalter dämmerte herauf. Sozialismus war der Schlüssel. Den von überall her zurückkehrenden Soldaten war alles versprochen worden, die Atlantik-Charta (damals zynisch aufgefasst) war lediglich die Zusammenfassung dieser utopischen Hoffnungen, und jetzt, wo sie zurückgekehrt waren, würde eine Labour-Regierung dafür sorgen, dass sie das Versprochene auch bekamen. Der National Health Service war die Errungenschaft, auf die man am meisten stolz war. In den dreißiger Jahren konnte eine Krankheit oder ein Unfall eine ganze Familie ins Elend stürzen. Die grauenhafte Armut von damals hatte niemand vergessen. All das war jetzt überstanden. Es bestand keine Veranlassung mehr, sich vor Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter zu fürchten. Und das war erst der Anfang – alles versprach in Zukunft noch besser zu werden. Man traf immer wieder Ärzte, die Praxen eröffneten, die dieses neue Bewusstsein verkörperten, Ärzte, die sich als Baumeister einer neuen Ära sahen. Sie konnten Kommunisten, Angehörige der Labour Party oder Liberale sein. Allesamt waren sie Idealisten.
Der Zeitgeist, oder wie wir damals dachten
Vor allem, eine neue Welt war im Entstehen.
Großbritannien war immer noch das Beste; das war ein so tief verwurzelter Bestandteil dessen, was die Menschen dachten, dass es als selbstverständlich galt. Schulbildung, Essen, Gesundheit, überhaupt alles – das Beste. Das Britische Empire, damals in den letzten Zügen – das Beste.
Die Zeitungen waren voll von Warnungen hinsichtlich des Wiederaufbaus des Gebiets um St. Paul’s, das in Trümmern lag. Wenn dieser Wiederaufbau nicht geplant werde, würde ein scheußliches Chaos die Folge sein. Er wurde nicht geplant, und es entstand ein scheußliches Chaos.
Unsere Gefängnisse waren abscheuerregend und eine Schande. Fast vierzig Jahre später hat sich daran nichts geändert. Gefängnisse haben es nun einmal so an sich: Sie sind Bestandteil des Problems. Liegt es daran, dass die Briten es im Innersten ihres Herzens mit dem Alten Testament halten – Auge um Auge, Zahn um Zahn? Vergeltung, das ist es, woran die meisten Leute glauben. Während ich dies schreibe, werden Mütter kleiner Kinder ins Gefängnis gesteckt, weil sie ihre Fernsehgebühren nicht bezahlt haben. Ihre Kinder kommen in Heime. Die meisten Leute, die zum ersten Mal davon hören, schreien auf: Nein, unmöglich, dass so etwas passiert! Aber Dickens wäre nicht überrascht gewesen.
Mildtätigkeit wurde vom Wohlfahrtsstaat für immer abgeschafft. Niemals wieder sollten Arme durch Almosen von anderen gedemütigt werden. Heute würden wir am liebsten den gesamten Apparat der Mildtätigkeit, die Stiftungen, die Verbände, die Komitees, abbauen. Keine Almosen mehr.
In der U-Bahn-Station Oxford Street beobachtete ich, wie ein tyrannischer kleiner Beamter einen erst kürzlich eingetroffenen Westinder beschimpfte und beleidigte, weil dieser nicht mit dem Fahrkartenautomaten zurechtkam. Er war genau wie die Weißen, die ich während meines Lebens in Südrhodesien beim Anbrüllen der Schwarzen beobachtet hatte. Er kompensierte sein eigenes Minderwertigkeitsgefühl.
Alle ausländischen Besucher, vor allem die Amerikaner, sagten, wie liebenswürdig, höflich – zivilisiert – Großbritannien sei.
Und nun – was sollte ich als Nächstes schreiben? Was die Verleger wollten, war ein Roman. Was ich schrieb, waren Kurzgeschichten. Alle spielten im »Distrikt« – Banket, Lomagundi –, und ihr Thema war die Gemeinschaft der Weißen, wie sie sich selbst wahrnahm, sich abkapselte und wie sie die Schwarzen um sich herum sah. Ich würde den Band
This Was the Old Chief’s Country
nennen. Juliet O’Hea sagte, wenn ich das unbedingt wolle, dann natürlich, aber kein Verleger werde begeistert sein von Kurzgeschichten, weil sie sich nicht verkauften. Ich überzeugte sie vom Gegenteil, denn sie verkauften sich gut, sehr gut sogar, und haben
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