Schritte im Schatten (German Edition)
werden, und meine Verlegenheit ist unnötig. Ich versuche vergeblich, mich wieder zu bedecken. Eine Frau taucht aus der Menge auf, dreht mich zu sich um, holt eine große Sicherheitsnadel aus ihrer Tasche und befestigt die Jacke an der Schlinge. Dann steht sie da und mustert mich. »Gebrochen, stimmt’s? Also, ein Bruch braucht zweiundvierzig Tage oder sechs Wochen, was immer das kürzeste ist.« Ich bringe kein Wort heraus. »Nur Mut, vielleicht wird es nie zum Schlimmsten kommen.«
»Das ist das Schlimmste«, bringe ich hervor. Sie lacht, dieses anarchische, verdrießliche Was-kann-man-schon-erwarten-Lachen, das man noch immer von Leuten hören konnte, die die Luftangriffe miterlebt hatten.
»Wirklich? Nun, wenn das das Schlimmste ist, was Ihnen passieren kann, dann …« Sie gab mir ein paar aufmunternde kleine Klapse, dann schob sie mich sanft in Richtung Zug und half mir hinein. »Fahren Sie einfach nach Hause, machen Sie sich eine gute Tasse Tee, dann sieht alles gleich viel besser aus«, höre ich, als die Türen zugleiten.
Ich schickte die
Afrikanische Tragödie
in derselben Verpackung an Michael Joseph zurück, in der sie eingetroffen war. Ich bekam einen Brief, in dem man mir zu den wertvollen Änderungen gratulierte, die ich vorgenommen hatte. Ich habe das nie aufgeklärt.
Wenig später schrieb Alfred Knopf aus New York, sie würden das Buch herausbringen, wenn ich es so abändern würde, dass eine eindeutige Vergewaltigung darin vorkäme, »in Übereinstimmung mit den Sitten des Landes«. Das war Blanche Knopf, Alfreds Frau, und die Knopfs waren damals die Sterne am Verlegerhimmel. Ich war wütend. Was wusste sie über die »Sitten« im südlichen Afrika? Außerdem war es einfach grob. Im Zentrum der
Afrikanischen Tragödie
standen die unausgesprochenen, unaufrichtigen Verhaltenscodes der Weißen, denen zufolge nie etwas gesagt, aber alles verstanden wurde. Das Verhältnis zwischen Mary Turner, der weißen Frau, und Moses, dem schwarzen Mann, war bewusst so dargestellt, dass nichts
eindeutig
war. Das geschah nur bis zu einem gewissen Grad aus dem Instinkt für literarische Zusammenhänge. Tatsache ist, dass ich nie entschieden habe, ob Mary mit Moses Sex hatte oder nicht. Mal stellte ich mir das eine vor, mal das andere. Während es an der Tagesordnung war, dass weiße Männer Sex mit schwarzen Frauen hatten, und die ständig größer werdende Zahl der Mischlinge beweist es, habe ich nur ein einziges Mal davon gehört, dass eine weiße Frau Sex mit ihrem schwarzen Diener hatte. Die Strafe – für den Mann – war Erhängen. Außerdem waren die Tabus in ihrer Wirkung unglaublich machtvoll. Wenn Mary Turner mit Moses Sex gehabt hätte, diese arme Frau, die auf ebenso fatale wie gefährliche Art an ihrem Selbstbild als weiße »Madam« festhielt, dann wäre sie unweigerlich daran zerbrochen. Gut, sie war bereits
gebrochen
, sie war verrückt. Sie wäre dann aber auf andere Art verrückt geworden. Sobald ich als Faktum benenne, was, als Möglichkeit belassen, eine viel eindringlichere Wirkung zu entfalten vermag, drängen sich mir Wendungen und Worte auf, die eine andersgeartete Verrücktheit zur Folge haben müssen. Nein, aufs Ganze gesehen glaube ich, sie hat es nicht getan. In jedem Fall gilt: Als ich das Buch schrieb, war ich mir sicher, dass sie es nicht getan hatte. Die Entstehung des Romans verdankt sich folgender Begebenheit: Ich wurde auf den Veranden Zeugin geringschätziger und Unbehagen auslösender Unterhaltungen über eine Farmersfrau in der näheren Umgebung, die »ihrem Koch erlaubt hatte, ihr das Kleid am Rücken zuzuknöpfen und ihr das Haar zu bürsten«. Das wurde, wie ich glaube, von meinem Vater korrekt als ein Höchstmaß an Verachtung für den Mann beschrieben: ähnlich den Aristokraten, die sich vor den Dienstboten alle möglichen intimen und schmutzigen Dinge erlauben, da diese in den Augen jener keine menschlichen Wesen sind.
Für mich war die Forderung der Knopfs Heuchelei: Eine Vergewaltigung hätte damals nur den Schock des Neuartigen ausgelöst. Ich sagte, ich würde das Buch nicht ändern. Dabei wurde ich voll und ganz von Juliet O’Hea unterstützt, die sagte, natürlich bräuchte ich kein Wort zu ändern, wenn ich es nicht wolle, aber es sei immer der Mühe wert, über das nachzudenken, was sie sagten. »Schließlich, meine Liebe, haben sie manchmal recht.« Sie fand aber, dass sie diesmal unrecht hatten. »Keine Sorge, wenn sie es nicht nehmen, besorge ich Ihnen
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