Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
einer Elite anzugehören, ist eines der fundamentalsten. Aristokratie, die Diktatur des Proletariats, der Garrick Club, Geheimgesellschaften – es ist alles ein und dasselbe.
    Ungefähr um diese Zeit lernte ich meine Tante Margaret, die Witwe des Bruders meiner Mutter, und ihre Schwester kennen. Dies war die Welt meiner Mutter, eine weitere Elite, die obere Mittelschicht, eine Welt, die sie bewunderte und von der sie wollte, dass ich ihr angehörte. Trotzdem hatte sie ihre Schwägerin nie gemocht. Nicht, dass sie mir missfielen, diese beiden konventionell gekleideten Ladys mit ihren gepflegten Hüten, ihren Handschuhen, ihren Fuchsstolen. Es war eine Welt, mit der ich nichts anfangen konnte. Auch nur in ihre Nähe zu kommen war, als würde einem mit Gefängnis gedroht. Ich glaubte ihr schon vor vielen Jahren den Rücken gekehrt zu haben, doch jetzt drängte meine Mutter, ich solle meinen Platz in ihr einnehmen, unter »netten Leuten«.
    Ich versuchte es und besuchte Harry, den Bruder meines Vaters. Das war der, der seine Frau Dolly nach dreißig Ehejahren verlassen hatte, mit der Begründung, er habe des Kindes wegen in einer sinnlosen Ehe ausgeharrt und danach endlich die Liebe seines Lebens gefunden. Sie war, behauptete die Familie, »eine rothaarige Schlampe«. Wenn man rothaarig ist, gehört, unter »netten Leuten«, das Wort »Schlampe« unweigerlich dazu. Sie war – behaupteten sie – eine Bardame. Sie war es nicht, aber eine rothaarige Schlampe und zugleich eine Bardame – das war zu schön, um wahr zu sein. Mein Vater, der seinen Bruder nie gemocht hatte, fand endlich etwas an ihm bewundernswert und setzte sich für ihn ein, aber es nützte nichts. Ich schrieb an meinen Onkel Harry, sagte, ich sei nicht so wie der Rest meiner Familie, ob wir uns treffen könnten? Er antwortete nicht. Ich versuchte es noch einmal – nein. Seine Tochter Joan besuchte mich und verbrachte eine Stunde damit, ihren Vater schlechtzumachen. Ich fragte sie, ob er nicht ein wenig Anerkennung dafür verdiene, dass er um ihretwillen Jahrzehnte einer schlechten Ehe durchgehalten habe. Ich wollte sie nicht wiedersehen.
    Überhaupt kam ich nicht mit vielen Leuten zusammen, und wenn ich irgendwo hinging, dann geschah es Peters wegen. Das ist bei den meisten Müttern mit kleinen Kindern so.
    So veranstaltete zum Beispiel die bulgarische Botschaft jede Woche einen Volkstanzabend. Viele Eltern, die keine Kommunisten waren, besuchten diese Abende ihren Kindern zuliebe.
    In einem Garten am Kanal, der Little Venice genannt wird und heute sehr gepflegt ist, damals aber schäbig und heruntergekommen war, wurden schottische Abende veranstaltet, bei denen Ewan McColl sang, und dort fand sich die übliche bemerkenswerte Mischung von Leuten ein, die man in den kulturellen Kreisen der Kommunistischen Partei anzutreffen pflegte. Das Haus gehörte Honor Tracy, einer jungen Frau aus der Oberschicht, die ihrer Bildung nach für ein ganz anderes Leben bestimmt gewesen wäre, und ihrem Mann Alex McCrindle, der in
Dick Barton, Special Agent
, einer überaus populären Radioserie, die Figur des Jock sprach. Es waren Leute aus der Welt des Rundfunks da, der Musik, des gerade aufkommenden Fernsehens und natürlich Frauen mit Kindern. Die meisten von ihnen waren Kommunisten, aber zehn Jahre später war niemand von ihnen mehr Kommunist, ausgenommen Alex. Und Ewan McColl, der kommunistische Barde und Troubadour.
    Ich empfand diese Veranstaltungen als ziemlich deprimierend, all diese Leute, die schottische Volkstänze tanzten, oft in kaltem Nieselregen.
    Am Guy-Fawkes-Tag und zu jedem anderen Anlass, der einen Vorwand dafür lieferte, wurden auf Trümmergrundstücken Feuer angezündet, und die Eltern strömten mit ihren Kindern aus den umliegenden Straßen herbei. Ich verglich diese gesellschaftlichen Ereignisse mit ihrer Atmosphäre liebenswerter Amateurhaftigkeit mit den großen Walpurgisnachtfeuern, die ich auf den Trümmergrundstücken in Hamburg gesehen hatte.
    Ich machte wiederholt Bekanntschaft mit der Tapferkeit, mit der die Briten Kälte ertragen. Basil Davidson [7] lud Peter und mich in sein Cottage in Essex ein. Dort waren seine Frau Marion und ihre drei Kinder, und in dem Cottage gab es nur einen elektrischen Heizofen mit einem einzigen Stab, und der war meistens nicht eingeschaltet. Ihre Einstellung war, dass wir Sommer hatten und sie deshalb keine zusätzliche Heizung brauchten. Meine war, dass ich fror. Wir alle waren von einem dicken Panzer

Weitere Kostenlose Bücher