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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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erzählen.« Ich sagte, dass Südrhodesien mit Waffengewalt erobert worden sei. »Aber wir würden niemals zulassen, dass man uns zu – wie haben Sie es genannt? – Holzfällern und Wasserträgern macht.« Ich habe nie ein verständnisloseres Publikum gehabt.
    Ich wurde gebeten, vor der IRA  – die Einladung ging von ihr aus – über die Zustände in Rhodesien zu sprechen. Ungefähr fünfzehn Personen, alles junge Männer. Ich erfuhr, dass es üblich war, dass IRA -Mitglieder ohne Haftbefehl verhaftet und ohne Prozess ins Gefängnis gesteckt wurden, wo man sie festhielt ohne Verurteilung und ohne Hoffnung auf Entlassung, es sei denn, aus einer Laune der Briten heraus. Der Krieg zwischen der IRA und den Briten hat weit ältere Wurzeln, als die meisten Leute heute glauben.
    Ich wurde aufgefordert, die Parteilinie im Hinblick auf die Literatur bei einer von den Kommunisten in Kensington organisierten Versammlung zu vertreten. Aber ich war mit der Parteilinie nicht einverstanden. Ich war es nie gewesen. Doch ich ging trotzdem hin, wie immer zum Teil aus Neugierde. Es wurde der Antrag gestellt, Graham Greene als Reaktionär zu verurteilen. Ich bewunderte Graham Greene. Aber ich war durchaus imstande, über die Parteilinie im Hinblick auf die Literatur zu referieren. Weshalb tat ich es? Es war, glaube ich, das einzige Mal in meinem Leben, dass ich das getan habe. Ich begann zu stottern. Vorher hatte ich noch nie gestottert. Ich konnte meinen Vortrag kaum beenden. Es war nicht erforderlich, dass Mrs. Sussman mir sagte, dass ich gestottert hatte, weil ich nicht glaubte, was ich sagte. »Finden Sie nicht«, sagte sie, »dass Sie allmählich lernen sollten, Nein zu sagen?«
    All meine Aktivitäten wurden von Kommentaren begleitet – von Mrs. Sussman, von Jack und auch von meiner Mutter, die mir bittere und heftige Vorwürfe machte und immer wieder sagte, ich solle an die Zukunft meines Sohnes denken. Wann gedachte Jack mich zu heiraten? Weshalb trieb ich mich ständig bei den Kommunisten herum? Wer war diese Mrs. Sussman? Weshalb war ich willens, einer Fremden und einer Ausländerin zuzuhören, aber nicht ihr?
    Inzwischen gab es in der Partei eine Unterströmung – zumindest in den Kreisen, in denen ich verkehrte; es wurde über die Nachrichten geredet, die aus der Sowjetunion und den Ostblockstaaten hereinkamen. Das heißt, nicht die Nachrichten in den Zeitungen, die wir automatisch als Lügen abtaten, sondern von Mund zu Mund weitererzählte Nachrichten. Diese Gespräche wurden mit fassungslosen, erschrockenen Stimmen geführt – die Verhaftungen, das Verschwinden von Leuten, die Gefängnisse, die Lager, alles zusammengefasst in: »Ein Jammer, dass die Revolution nicht in einem höher entwickelten Land stattgefunden hat, dann wäre nichts von alledem passiert.« Die Partei – King Street – dementierte offiziell, dass überhaupt etwas passierte, sogar dann, wenn Parteimitglieder sie einzeln oder zu zweit aufsuchten oder Delegationen aus den Stadtteilen kamen. »Kapitalistische Lügen.« Inoffiziell – das war eine andere Sache. Damals war ein Ausdruck im Schwange – »Bescheid wissen«. Ein bitteres Eingeständnis. Aber immer noch nicht die volle Wahrheit, weit davon entfernt.
    Der Ausdruck
Bescheid wissen
war die Eintrittskarte zu einer Elite politischer Weltklugheit.
    Es ist eine Menge gesagt worden über die finanzielle Korruption in hochrangigen kommunistischen Kreisen – King Street und Umgebung –, aber ich glaube, Geld spielte dabei die geringste Rolle. Die Spitzenfunktionäre – und ebenso alle Parteimitglieder – prahlten damit, dass niemand mehr bekam als den Durchschnittslohn eines Arbeiters. Bekamen sie Zuschüsse aus der Sowjetunion, über die es keine Unterlagen gab? Niemand konnte sagen, dass sie in Luxus lebten. Natürlich gab es Reisen in die Sowjetunion und andere kommunistische Länder, aber ich bin sicher, dass sie die nicht als »freiwillige Sozialleistungen« ihres Arbeitgebers betrachteten, sondern eher als Besuche bei ihrer Alma Mater. Nein, die Macht ist es – das ist die Droge, das ist die Verlockung. Über Insiderinformationen zu verfügen, das Ohr der Mächtigen zu haben, Bescheid zu wissen. Ich bin überzeugt, dass eine Menge Leute noch lange über die Zeit hinaus, in der sie die Partei eigentlich hätten verlassen müssen, Kommunisten geblieben sind, weil diese Zugehörigkeit zur Elite es ihnen möglich machte, hinter die Kulissen zu blicken. Das Bedürfnis,

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