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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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kommunistischen Jargon. »Die Arbeiterklasse – faschistische Imperialisten … Friedensfronten – ausgebeutete Massen – die Sache des Kommunismus fördern.« Ich hörte nicht wirklich zu. Was war mit mir los? Würde ich ohnmächtig werden? Mir war kalt, und meine Handflächen schwitzten. Ich hatte ein überaus seltsames Gefühl im Genick – die Härchen dort standen zu Berge. Ich hatte fürchterliche Angst. Er ängstigte mich zu Tode. Das ist mir seither nie wieder passiert. Ich glaube, in diesem Augenblick war ich den mörderischen Gräueln der Sowjetunion ganz nah – hautnah. Ich habe über diesen Moment mit niemandem gesprochen. Ich war zu »subjektiv« – diesen Ausdruck benutzten die Genossen für alles, was sich nicht auf den ersten Blick erklären ließ. Leider können etliche der wichtigsten Begegnungen im Leben eines Menschen, Begegnungen, die ihn verändern, so belanglos erscheinen, dass sie kaum des Erwähnens wert sind. Danach ging ich nicht noch einmal zu einem der großen Empfänge in der sowjetischen Botschaft.
    Einmal war ich mit Jack in der Botschaft der Tschechoslowakei und langweilte mich wie immer bei derartigen Anlässen. Dort hängte sich ein unerfreulicher, junger Mann an uns, brachte uns ständig Drinks, und als wir sagten, wir wollten gehen und uns ein Taxi suchen, bestand er darauf, uns beide in die Church Street zurückzufahren. Obwohl wir ihn nicht eingeladen hatten, wollte er unbedingt mit uns hinaufkommen. In der Wohnung prahlte er mit reichen und mächtigen Freunden, lud uns zu allen möglichen Partys ein, versuchte uns das Versprechen abzuringen, dass wir einander wiedersehen würden. Als er gegangen war, witzelten wir, dass niemand, der bei klarem Verstand sei, ob reich und mächtig oder nicht, freiwillig auch nur eine halbe Stunde mit diesem erbärmlichen kleinen Angeber verbringen würde. Sein Name war Stephen Ward. Später stellte sich heraus, dass er nicht nur eine Art Zuhälter für die Reichen und Mächtigen war, sondern Spionage betrieb. Er war Christine Keelers Freund oder Geliebter. Als er tief in der Klemme steckte, ließen die Leute, die Gebrauch von ihm gemacht hatten, ihn einfach fallen, und er beging Selbstmord. Gelegentlich traf man Leute, die die faszinierende Christine Keeler bei Dinnerpartys kennengelernt hatten: »Sie ist eine tolle Frau.« – »Sie ist so geistreich.« – »Sie ist so intelligent.« Aber diese Bewunderer kamen ihr nicht zu Hilfe, als sie sie brauchte.
    Was habe ich sonst noch getan, was ich nicht getan hätte, wenn ich nicht Kommunistin gewesen wäre? Ich zog los, um in einem großen Wohnblock den
Daily Worker
zu verkaufen und um Stimmen für irgendeine Gemeindewahl zu werben. Es war am helllichten Tag, und es waren Frauen, die mir die Tür öffneten. »Solche Dinge überlasse ich meinem Mann.« Sie baten mich herein, weil sie einsam waren. Frauen und Kinder, eingeschlossen in schäbige, armselige Zimmer – das war lange vor der Zeit, in der der Wohlstand explodierte, nach dem Motto: »Noch nie ist es euch so gut gegangen.« Sofort befand ich mich in einer mir nur allzu vertrauten Position. Was sie wollten, waren Ratschläge über Ratenkäufe, über Kindergeld. Sie wussten nicht, was ihnen zustand oder wie sie es bekommen konnten. Wenn ich in Rhodesien mit derartigen Szenen konfrontiert wurde, brauchte ich nur jemanden anzurufen. »Die Frau in Nummer  23 , sie braucht …« Jetzt hatte ich selbst kaum eine Ahnung von den Vorschriften und wusste auch nicht, wen ich anrufen musste. Ich berichtete der Partei, dass diese Leute sich nicht für den Kommunismus interessierten, was sie brauchten, seien Sozialarbeiter. Das habe ich nur einmal getan. Alles, was mit der Partei zu tun hatte, war unerfreulich und deprimierend, und das nicht nur, weil ich mich wie gewöhnlich in einer falschen Position befand.
    Ich fuhr zur Universität in Hull, um einen Vortrag über Südrhodesien zu halten. Es waren ungefähr fünfzig nigerianische Studenten da. Das war eine Erfahrung, die mich ein oder zwei Dinge gelehrt hat. Sie konnten mich buchstäblich nicht verstehen, das heißt, die Tatsache akzeptieren, dass eine winzige weiße Minderheit – ungefähr 150 000  Menschen – anderthalb Millionen Schwarze unterdrückte. »Weshalb sagen sie ihnen nicht einfach, sie sollen verschwinden?« – »Weshalb lassen sie sich von den Weißen sagen, was sie tun sollen?« – »Bitte erklären Sie mir das genauer, ich verstehe nicht, was Sie uns da

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