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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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auf den kalten Badezimmerkacheln ab –, »war ein schönes Dampfbad.«
    Inmitten des weißen Gewabers sah sie aus wie ein absurd bunter Vogel. Ich half ihr aus ihrem Jäckchen, und sie stieg aus ihrem kollabierten Kleid. Zitternd stand sie in Unterhose da und machte sich nicht mal die Mühe, ihren Brustkorb zu bedecken. Man konnte die Rippen unter ihrer Haut zählen.
    »Wenn das nicht hilft, bring ich dich sofort ins Krankenhaus.«
    Sie atmete ein. »IchwillabernichtinsKrankenhaus.«
    »Du, ich sag dir mal was, ich auch nicht. Also bleiben wir mal optimistisch. Und schwups.«
    Ich hob sie in die Badewanne, und da stand sie, die Hände hochgezogen unter dem Kinn. Im Nu war ihre Brille beschlagen. Ich beugte mich vor, um sie ihr abzunehmen, und dabei wurde mir selbst ein bisschen schwindlig beim Gedanken an diese Behandlung, die so lange her war.
    »Du atmest den Dampf ein«, sagte ich, »und ich setze mich so lange einfach hier auf das Klo. Sehr würdevoll.«
    Sie schwieg. Ich zog den Plastikvorhang zu und setzte mich neben die Badewanne auf den kalten Klodeckel. Der Duschvorhang blähte sich in der Wanne. Von seinem zerfledderten Saum ergossen sich unregelmäßige Rinnsale. Ein schmutziger Nebenfluss lief über die Kacheln in Richtung Tür. Ich hörte, wie meiner Tochter das Wasser auf den Schädel prasselte.
    Wir hatten die Anweisungen des Arztes genau befolgt. Sie hatte ein paar kleinere Anfälle, also kauften wir einen Luftfilter und gaben die Maus weg und achteten auf glutenfreies Essen, und dann wurden wir geschieden. Ich konnte mich noch so deutlich an diese und andere Notfälle erinnern, als wären sie erst gestern passiert: eine böse Verbrennung, als sie versucht hatte, ein Stück Knete in der Pfanne zu braten, dann, als sie bei ihrer Großmutter eine Christrose verspeist hatte und wir den ganzen Weg ins Krankenhaus weinten, mehrere schreckliche Fieberanfälle, bei denen wir nachts an ihrer Bettkante von schaurigen Wachvisionen heimgesucht wurden, als hätten wir unseren Gebeten entsprechend tatsächlich mit ihr die Plätze getauscht. In diesen lang vergangenen Zeiten hätten wir sie zehn Mal fast verloren. Und doch war sie uns immer erhalten geblieben. Sie war uns geblieben. Die Macht, die sie uns zu entreißen drohte, hatte sie immer wieder zurückgebracht.
    »Zuckerschnecke?«
    »Ja?«
    »Hast du das Gefühl, der Dampf hilft dir etwas?«
    »Ja.«
    »Gut.«
    »Aber –«
    »Aber was.«
    »Ich hab einen Drehwurm.«
    »Willst du einen Stuhl haben? Irgendwas zum Sitzen?«
    »Ja.«
    Einen Drehwurm, dachte ich und ging hinaus ins Zimmer. Das kann nicht gut sein. Ich hatte mich immer – das weiß ich inzwischen – auf diesen stärkenden Zug aus dem Inhalator verlassen, ich hatte das wahre Wesen ihrer Krankheit vergessen – sofern ich es denn jemals wirklich gekannt hatte – und was körperlich mit ihr passierte und was dagegen unternommen werden musste. Ich glaubte – ich erinnerte mich –, dass mir als Kind die Dampfbäder geholfen hatten, wenn ich krank war, aber was hatte ich damals überhaupt gehabt? Keuchhusten? Bei mir hatte sich das verwachsen. Dorchester hatte mich davon geheilt, was immer es war. Es hatte sich verwachsen, oder es war aus mir rausgeprügelt worden, und so erwartete ich von ihr, dass es bei ihr genauso lief, aber siehe da, bei ihr lief es nicht so, und um die Wahrheit zu sagen, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was um alles in der Welt ich tun sollte.
    Da hörte ich den dumpfen Aufprall aus dem Badezimmer.
    Die Ringe kreischten auf der Stange, als ich den Vorhang beiseiteschob. Sie lag auf dem Bauch in der Wanne, das Wasser strömte auf sie herab, die Haare hingen ihr klatschnass und dunkel über den Rücken und übers Gesicht. Langsam, als ginge ihr erst jetzt etwas auf, wandte sie mir den Kopf zu, die Haut unter den Augen war lila.
    »Alles klar«, sagte ich. »Dann mal los.«
    »Wohin?«
    »Wir brauchen Hilfe.«
    »Nein«, sagte sie mit rauer Stimme.
    »Los jetzt«, sagte ich und packte ihren glitschigen Arm.
    »Nein!«
    »Los jetzt! Los jetzt. Steh auf .«
    »Nein!« Sie riss ihren Arm zurück.
    »Steh auf, verdammt noch mal !«
    Ich drehte den Hahn zu, wickelte sie in ein Handtuch, um sie besser packen zu können, und brachte sie zurück ins Zimmer. Sie wehrte sich kraftlos, nackt, mit nasser Unterwäsche.
    »Hör auf!«, rief ich. »Hör auf, mich zu treten!«
    Ich stopfte sie in ihre lilafarbene Nickihose und in das Walmart-Sweatshirt aus Swanton. Ihre Unterwäsche

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