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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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kaufen, dachte Oliver und stellte sich auf einen ereignislosen Vormittag ein. Mit übergeschlagenen Beinen saß er auf der Beratungscouch und blätterte einen frisch eingetrudelten Hochglanzprospekt durch. Sein Blick wanderte über die Gesichter der Models, deren Augen allesamt so schön waren, als könnten sie niemals mit dem Makel eines Sehfehlers behaftet sein. Manchmal ärgerte ihn diese Schönheit, deren Vollkommenheit nichts Menschliches mehr hatte. Aber in einem Punkt war die Natur gerecht, wenn sie es schon nicht bei der Vergabe von Körpergröße und Schönheit war: Es gab keinen Zusammenhang zwischen perfektem Sehen und perfektem Aussehen. Oliver hatte gelesen, daß Marilyn Monroe so kurzsichtig gewesen war, daß sie ihre Filmpartner gar nicht hatte erkennen können. Es spielte also keine Rolle, ob ihr Tony Curtis gegenüberstand, |52| Clarke Gable oder irgendwer. Optisch hätte sie die Veränderung erst bei den Kußszenen bemerkt, und auch da erst im allerletzten Moment, Zungenspitze an Zungenspitze. Das verführerisch Aufgerissene, die erotische Ahnungslosigkeit ihres Blicks verdankte sie nicht ihrem sexuellen Temperament, sondern der Tatsache, daß sie eine Brille brauchte.
    Wenn man die Prospekte von Gucci oder Armani ernstnahm, waren Brillengestelle sehr erotisch. Scharf sehen, scharf sein – das war die Lifestyle-Gleichung, mit deren Variablen in den Broschüren herumjongliert wurde. Auf einmal fragte sich Oliver, ob Menschen, die schlecht sahen, beim Lieben die Brille anbehielten. Die Frage schien grotesk, aber sie war es nicht. Ab einem bestimmten Grad der Fehlsichtigkeit hatte man es nur noch mit verwischten Formen zu tun, mit ungefähren Konturen, man liebte ein Phantom. Aber vielleicht brauchte die Liebe keine Wirklichkeit, vielleicht vertrug sie sie nicht einmal. Es gab noch einen zweiten Aspekt dabei: nicht nur den des Sehens, sondern auch den des Gesehen-Werdens. Die Vorstellung, beim Sex angesehen zu werden, hatte Oliver von jeher mit Unbehagen erfüllt. Er fragte sich, wie sehr sich sein Gesicht als Spiegel seiner Persönlichkeit in den flüchtigen Minuten der sexuellen Ekstase veränderte. Er wollte nicht, daß jemand ihn je so sähe, diesen Verlust von Selbstkontrolle, diese Kapitulation vor den hormonellen Mächten tief im eigenen Körper.
    Oliver blätterte weiter und kam zu den Sonnenbrillen. Ein Modell hieß sinn- oder eher
un
sinnigerweise
Nightlife
. Es war ein schwarzer, von Ohr zu Ohr laufender makelloser |53| Ring, bis auf die unvermeidliche Einkerbung für die Nase. Zur Präsentation der Brille hatte man sich für ein sehr blasses eierschalenhäutiges Model mit vollen, bordeauxrot schimmernden Lippen entschieden, das anonymen Sex versprach. Sie hatte kurze dunkle, verwegen wirkende Haare. Oliver schloß die Augen und stellte sich Do nackt vor. Ihre Haut war dunkler als die des Gucci-Models, auch im Winter, aber die Gesichter, insbesondere die dunklen Haare, hatten eine bestimmte Ähnlichkeit. Oliver wollte nicht an Sex denken, aber er dachte unwillkürlich an Sex. Es war eine sonnenbrillentragende laszive Huren-Do, die in seiner Fantasie lebendig wurde, ein zweideutiges Vexierwesen, verschmolzen mit dem Gucci-Model.
    Was er dachte, erregte Oliver, und stieß ihn zugleich ab: Er stellte sich vor, wie Do mit bestimmten Diensten den Schwanz des erst seit wenigen Wochen in ihrer Nachbarschaft wohnenden Zauberers zu knorriger Altmännergröße erweckte. Er und Balthasar Schrödinger waren auf natürliche Weise miteinander befeindet wie Licht und Dunkelheit. Ihre Berufe waren einander entgegengesetzt, Schrödinger betrieb Augenwischerei. Und doch tauchte der Zauberer in Olivers erotischen Gedanken auf, als hätte er sich hineingehext. Der Magier empfing die Wonnen bestimmter Künste, für die die reale Do sich nicht auf die gleiche Weise zu begeistern gewußt hätte wie ihr Traumdouble. Jedenfalls nicht mit dieser professionellen Selbstverständlichkeit. Nachdem sie ihn hinreichend auf Touren gebrachte hatte, ging sie über dem Zauberer, der auf dem Rücken lag, in die Hocke und bog sich seinem Ständer entgegen, der aus dem grauen Gewölle seines Schritts |54| aufragte und so mühelos in sie hineinglitt wie ein passender Schlüssel ins Schloß.
    An dieser Stelle öffnete Oliver die Augen, um sich irgendwie abzulenken, was ihm zunächst auch gelang, doch dann wiederum nicht: Vor seinem Schaufenster stand ein Mann unter einem großen, leuchtend roten Regenschirm mit einer

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