Schroedingers Schlafzimmer
entsprach.
Do mußte an Onkel Stefan denken, als sie die Flasche Rotwein für Balthasar Schrödinger in anthrazitfarbenes |98| Geschenkpapier einwickelte und mit einer jener hellgelben Strohschleifen versah, die sich in der Boutique so gut verkauften. Dann ging sie ins Schlafzimmer und stand eine Weile unentschlossen vor dem Kleiderschrank. Schließlich entschied sie sich für die kurze dunkelbraune Bluse mit Schmetterlingskragen und die weite Hüfthose aus lachsfarbenem Leinen, weil deren lässig unter dem Bauchnabel verknoteter Gürtel aus Spitze, wie sie fand, ohne Frage »locker« und »freizeitmäßig« aussah. Das waren, soweit sie sich erinnerte, die beiden Adjektive gewesen, mit denen Schrödinger den näheren Charakter seiner Einladung umrissen hatte. Außerdem war sie der Meinung, jetzt, Ende Mai, genügend frühsommerliche Bräune angesammelt zu haben, um sich ein wenig Bauchfreiheit leisten zu können. Als Oliver, der Jenny und Jonas zu Freunden gebracht hatte, zurückkam, sagte er spontan: »Wen willst du anmachen: mich oder ihn?«
»Ich dachte, du magst es, wenn ich mit der Mode gehe.«
»Do, er ist weit über sechzig! Da dürstet man nach jedem Fitzelchen weiblicher Haut. Wer weiß, wie gut er sich unter Kontrolle hat.«
»Ich habe nicht den Eindruck, daß das Alter in dem Punkt eine Rolle spielt.«
»Er wird sich garantiert irgend etwas ausdenken, um dich unter seinen Tisch oder sein Sofa kriechen zu lassen, nur damit er einen Blick auf deinen String erhaschen kann.«
In der schwarz-weiß gefliesten Garderobe schlüpfte Do in ihre Sandaletten, deren Absätze sie etwas größer als ihren Mann werden ließen. »Kleidung ist dazu da, einen |99| Menschen attraktiv zu machen. Wir sind hier, Gott sei Dank, nicht in Arabien, wo sie ihre Frauen wie Denkmäler verhüllen.«
»Aber auch nicht bei den Eskimos, wo sie ihre Frauen jedem Neuankömmling zur Entspannung anbieten.«
»Eben«, sagte sie und kontrollierte ihr Aussehen vor dem Garderobenspiegel, »wir sind genau da, wo wir hingehören: in der zivilisierten Welt. Und Balthasar Schrödinger, falls du das noch nicht gemerkt haben solltest, ist ausgesprochen höflich und zurückhaltend.«
Danach verließen sie das Haus. Die nörgeligen puritanischen Einwände, die Oliver sich nicht hatte verkneifen können, bestätigten Do in ihrer Haltung, die richtige Wahl in Bezug auf ihre Kleidung getroffen zu haben. Schrödinger war ein attraktiver Mann und hatte ein Recht auf attraktive Gäste. Die Vorgärten, an denen sie vorbeigingen, präsentierten sich in einem üppigen Grün, das seinen Farbzenit erreicht hatte und in der Trockenheit des Sommers wieder blasser werden würde. Hier und da wurden Rasen gewässert, und Feuchtigkeit irritierte die Sinne, weil sich würziger Regengeruch in die milde Abendluft mischte. An den Füßen der Baumstämme sprossen Bouquets junger Triebe, und Kolonien winzigster roter Läuse erforschten die frischen Blätter. Do dachte an die Cochenillen, von denen Schrödinger gesprochen hatte, deren Männchen nach dem Sex verhungern mußten.
Nach zehn Minuten bogen sie in die Straße, an deren Ende, vor einer Wand aus hohen Tannen, das weiße »Le-Corbusier-Haus« lag. Die Abendstimmung und die Dunkelheit der Bäume betonten seine Helligkeit. Schrödinger |100| wässerte in seinem Vorgarten Rhododendren und Mispeln. Er erkannte Do und Oliver schon von weitem und begrüßte sie, indem er beide Arme weit ausstreckte, als wollte er seine Gäste umarmen oder an unsichtbaren Fäden möglichst schnell zu sich heranziehen. Seine ergrauten Haare schimmerten im Abendlicht wie aufsteigender Nebel, und unter freizeitmäßiger Kleidung verstand er, wie sich jetzt herausstellte, eine über die behaarten Waden hochgekrempelte Jeans sowie ein ebenfalls aufgekrempeltes hellblaues Pilotenhemd mit Achselklappen und einer Schachtel Cojimar Vanille-Zigarillos in der Brusttasche. Seine bloßen Füße steckten in groben, geradezu riesig wirkenden Gummilatschen, die beim Vorgartenwässern naß geworden waren, und auch in den Wadenhärchen hatten sich winzige silbrige Wassertröpfchen verfangen, die hier und da aufblitzten, wenn man hinabsah.
»Ich liebe die blaue Stunde«, sagte er schwelgerisch und ließ das Wasser weiter auf den Mispelstrauch herabplätschern. »Das Licht geht, und die Nacht kommt! In der Dämmerung können sich Wahrscheinlichkeiten verdichten. Do, Sie sehen fantastisch aus! Aphrodite, die dem Schaum des Tages entsteigt. Für heute
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