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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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sind Sie der lebende Beweis dafür, daß in der Dämmerung das Unwahrscheinliche, wenn nicht gar das Unmögliche Wirklichkeit werden kann. – Oliver, schön Sie zu sehen. Ich habe etwas für Sie. Ein Monokel. Ich habe es beim Aufräumen in einer alten Kiste gefunden. Vielleicht hat es meinem Großvater gehört, wer weiß. Die Fassung ist aus Messing und hier und da grünlich angelaufen. Leider hat das Glas, ich meine die Linse, einen Sprung, und man sieht alles doppelt, |101| beziehungsweise die Bilder schieben sich ineinander. Wahrscheinlich ist das Ding keinen müden Cent wert, aber das überlasse ich Ihrem fachmännischen Urteil. Kommen Sie, wir gehen hinten rum.«
    Er betrachtete sein Bewässerungswerk und war mit dem Resultat offenbar zufrieden. Sämtliche Sträucher staken in braunen moderigen Pfützen, die allmählich versickerten. Er drehte die Schlauchdüse zu und lotste seine Gäste auf einem Pfad, der bei der ganzen Bewässerei mit Bedacht trocken geblieben war, durch die seitlichen Rhododendronbüsche hinters Haus zur Terrasse, auf der die Tannen ihre düsteren Abendschatten abgeladen hatten.
    Do spürte, wie der Charakter dieses Mannes sie erneut verwirrte und beängstigte. Die hypnotisierende Macht seiner freien Art zog sie in ihren Bann. So zu leben und spontanen Impulsen zu folgen erschien ihr wie eine große Kunst, für die sie kein Talent besaß. Das schwerfällige Blut ihres Vaters in ihren Adern hinderte sie daran, sich den Kräften des Augenblicks zu überlassen. Es deprimierte sie, daß sie im Moment so sehr an sich und ihrem Leben zweifelte.
    Sie folgte Schrödinger durch die Terrassentür ins Haus. Im Wohnzimmer brannte Licht, mehrere Beleuchtungsquellen – zwei Stehlampen, eine Tischleuchte, zwei von der Decke hängende Lampenschalen – summierten sich zu einer Helligkeit, die von so anderer Art war als jene, die von der einen großen Abendsonnenlampe draußen im Vorgarten erzeugt worden war, daß man das Gefühl bekam, eine andere Welt zu betreten, einen Bühnenraum, ein Theater. Und wirklich war alles sehr theatralisch: die Einrichtung |102| spärlich, aber exquisit und von einheitlichem Stil. Nur ausgesuchte Möbelstücke schmückten den Raum, Do wußte es ja schon: durchgängig Art déco.
    Schrödinger nahm die Weinflasche entgegen und bedankte sich: »Ich bin wirklich froh, Sie endlich hier begrüßen zu dürfen, aber erwarten Sie bitte nicht zuviel. In der Küche kann ich unglücklicherweise nicht zaubern.«
    »Sind die Möbel alle echt?«, erkundigte sich Oliver.
    »Meines Wissens, ja. Ich habe sie im Laufe der Jahre zusammengekauft, zumeist von privat. Bei Antiquitätenhändlern können Sie nie ganz sicher sein, ob das Zeugs nicht in Wirklichkeit aus Fernost kommt. Andererseits habe ich noch nicht gehört, daß Art déco in großem Stil gefälscht würde, lohnt sich wohl nicht, die meisten finden den Plunder häßlich. Nicht kitschig und verschnörkelt genug für unsere deutsche Schankstubenmentalität. Wir denken dabei doch gleich an Metropolis und die Diktatur der Maschinen.«
    In der Mitte des Raumes stand ein runder Mahagonitisch. Die Platte wurde von zwei Holzwangen auf einem quadratischen Schieferfuß wie von zwei zum Himmel erhobenen Armen getragen. Passend dazu umgaben vier Schalenstühle den Tisch, deren Sitzflächen mit mattem cremefarbenen Leder bezogen waren. Ein kastiges, aus vielen kurzen Holzstäbchen zusammengeleimtes Büffet, eine Glasvitrine mit ein paar Farbeinsätzen à la Mondrian in rot, blau und gelb und eine fantastische nachtblaue Samtchaiselongue komplettierten die Einrichtung.
    Schrödinger hatte Champagner kalt gestellt und kredenzte ihn in viereckigen farbigen Gläsern. »Es ist ein |103| Spleen«, gab er zu, »aber glauben Sie mir, die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren die wichtigste Zeit in der Geschichte der Menschheit. Irgendwann werden das auch die Historiker erkennen. Junge, Junge, was damals alles losgewesen ist – künstlerisch, wissenschaftlich, intellektuell und so weiter. Die ganze Entdeckung der Psyche stammt aus dieser Zeit. Seitdem wissen wir, warum wir unglücklich sind, und können uns endlich darauf einstellen. Unsere Triebe sind einfach nicht zu befriedigen, Punktum! Und jeder Versuch, uns irgendwie rational zu steuern, muß zwangsläufig in die Hose gehen, weil mein Großvater damals bewiesen hat, daß es unmöglich ist, sich selbst zu erkennen. In dem Moment, da man glaubt, sich selbst erkannt zu haben, ist man schon

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