Schroedingers Schlafzimmer
wieder ein anderer als der, den man ursprünglich erkennen wollte. Verflucht kompliziert, aber leider auch verflucht wahr. Wir sind arm dran. Die zwanziger Jahre haben uns ziemlich zurechtgestutzt. – Hallo, Josephine, mein Herzchen …«, rief er mit Blick zur Terrassentür aus.
Do drehte sich um – ein wenig zu schnell und zu neugierig, wie sie sogleich fand –, um das weibliche Wesen in Augenschein zu nehmen, das Schrödinger soeben begrüßt hatte. Nur weil Helma herausgefunden haben wollte, daß er unverheiratet war, mußte er noch lange nicht allein leben. Doch in der Tür war niemand zu sehen, und Do begriff, daß Schrödinger nicht mit einem Menschen gesprochen hatte, sondern mit einer Katze. An der Chaiselongue vorbei drückte das kleine pechschwarze Tier sich scheu in den Raum und blieb am Fuß des Büffets mißtrauisch stehen, eine Vorderpfote unentschlossen erhoben.
|104| »Ist das Ihre?« erkundigte sich Do.
»Ja, oder besser umgekehrt: Sie gehört nicht mir, sondern ich gehöre ihr. Sie ist mir irgendwann zugelaufen, und ich war nicht in der Lage, sie wegzuschicken. Sie hat es geschafft, mich um den Finger zu wickeln, beziehungsweise um die Pfote, und als ihren Herrn zu rekrutieren. Ich glaube, sie ist lange herumgestreunt und auf sich selbst gestellt aufgewachsen. Deshalb kommt sie nie hervor, wenn ich Gäste habe. Zu Ihnen, Do, scheint sie besonderes Vertrauen zu haben.«
Er fixierte das Kätzchen liebevoll und sonderbar intensiv mit seinem weichen, graublauen Blick, und auf einmal setzte sich das Tier in Bewegung. Lautlos schritt es durch den Raum auf Do zu, die unwillkürlich in die Hocke ging und sich vorneigte, um seinem Köpfchen die Hand entgegenzustrecken. Zehn Zentimeter vor ihren Fingern blieb das kleine Tier stehen, und Do beugte sich ihm noch etwas weiter entgegen. In diesen Moment hinein räusperte sich Oliver. Das Kätzchen trat die Flucht an, und Do spürte einen eigenartig kühlen Luftzug, der ihren Rücken dort berührte, wo die Spitzenbänder ihres Slips sich über dem Bund ihrer Hüfthose trafen.
»Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagte Schrödinger gelassen, der hinter ihr gestanden und offenbar ihren Rücken betrachtet hatte.
Do richtete sich auf und warf Oliver, der zynisch lächelte, einen verärgerten Blick zu. Sie straffte ihre Bluse, zog den Saum über den Bund der Hose und sagte so sachlich wie möglich: »Josephine ist ein ungewöhnlicher Name für eine Katze.«
|105| »Geht auf Josephine Baker zurück, eine schwarze Nackttänzerin in den zwanziger Jahren«, erklärte Schrödinger. »Sie war wunderschön. Ganz Paris lag ihr zu Füßen. Sie ist in den Folies Bergère aufgetreten und hatte ihren eigenen Nachtclub. Picasso hat von ihr geschwärmt und alle möglichen Künstler und Intellektuellen damals. Sie muß Männern gegenüber aber ziemlich mißtrauisch gewesen sein, obwohl sie ein paar Mal verheiratet war. Am liebsten hat sie sich mit Tieren umgeben. In ihrer Umkleidekabine lebte eine Ziege namens Toutoute und in der Clubküche ihr Schwein Albert. Und mit ihrem geliebten Geparden Chiquita hat sie Schlafzimmer und Bett geteilt. Ich nehme an, damit hat sie sich die Männer erfolgreich vom Leib gehalten. Ich habe eine Schwäche für starke Frauen. Weltgeschichtlich ist die männliche Dominanz ein fataler Irrtum. In Amerika hat man die Baker natürlich als Negerschlampe beschimpft. Sie würde tanzen wie ein Känguruh. Himmel, dieser puritanische Terror! Ich liebe die Kraft und Eleganz des Animalischen! Wirklich, ich glaube, es war angemessen, meine kleine Mitbewohnerin Josephine zu taufen, nicht als Ausdruck einer Reinkarnation, sondern einfach im Sinne einer Patenschaft.«
»Sie haben aber nicht vor, sie in einen Kasten zu sperren und abzuwarten, was geschieht?«, sagte Oliver. Do spürte, daß ihm Schrödingers wenig respektvolle Bemerkungen über Männer und ihr Machtstreben gegen den Strich gingen.
Schrödinger nickte nachdenklich. »Ja, diese Sache mit der Katze und dem Kasten, die ist berühmt geworden … Oliver, glauben Sie mir, ich würde mir eher eine Kugel |106| durch den Kopf jagen, als ein weibliches Wesen einzusperren. Ich muß meinen Großvater aber in Schutz nehmen. Es war ein
Gedanken
experiment.«
Aber nicht unbedingt ein tierfreundliches – das stimmte. Zur Illustration bestimmter Merkwürdigkeiten bei der Interpretation der Quantenmechanik diskutierte Erwin Schrödinger in den zwanziger Jahren das folgende Szenario: Was geschieht,
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