Schroedingers Schlafzimmer
Originalausgabe des
Ulysses
, des Romans, wie er verkündete, der die Schale des Bewußtseins mit dem Meißel der Sprache »geknackt« habe), »diese Tür ist die einzige, von der Sie mir erlauben müssen, sie Ihnen nicht zu öffnen: Sie führt in mein Schlafzimmer.«
Trotz dieser Äußerung blieb er einen Moment vor der Tür stehen, offensichtlich deswegen, weil er seinen Gästen hinreichend Gelegenheit geben wollte, das hochformatige Gemälde, das rechts daneben hing, eingehender zu würdigen. Eine Frau war darauf zu sehen, die die Arme über |112| den Kopf streckte, vor einem beinahe abstrakten Hintergrund aus blaugrauen Flächen. In der Taille eingeknickt stand sie mit geschlossenen Augen da, nur mit einem Tuch bekleidet, das sie sich um die Hüften geschlungen hatte. Die Hautflächen wirkten hell und makellos.
»Eine Lempicka-Kopie«, sagte Oliver.
»Aber natürlich!«, sagte Schrödinger und tippte sich mit der Handfläche einmal sanft gegen die Stirn. »Sie kennen sich ja aus! Das hätte ich mir denken können. In Sachen Malerei kann man Ihnen nichts vormachen. Sagen Sie mir, was halten Sie von der Lempicka?« Aber noch bevor Oliver antworten konnte, gestand er, daß er
Die blaue Stunde
für
das
Lempicka-Gemälde schlechthin hielt: die perfekten Proportionen, keine verlogene Aktarabeske, kein klebriger Verführungsschnörkel, die schläfrig-laszive Pose, die erhobenen Arme und die geöffneten Achseln, die wunderbaren kleinen Brüste, der herrliche Schwung der Taille, das locker um die Hüfte geschlungene Tuch. »Das Bild ist visionär!«, befand er: »Heute latschen alle mit diesen Hüftsachen herum, die ihnen lässig über die Schamhaare rutschen. Ich finde, es hat nur einen winzigen Fehler, eine malerische Flüchtigkeit oder vielleicht sogar eine kleine handwerkliche Ungeschicklichkeit. Ich meine den rechten Nippel. Der ist irgendwie nicht gelungen. Finde ich. Der linke ist eins a: zartrosa aufgerichtet, sehr verführerisch. Aber der rechte: wie aus Gummi. Enttäuschend eindimensional. Könnte auch ein Stand-by-Lämpchen sein. Was meinen Sie, Oliver? Sie sind der Fachmann.«
Oliver zuckte trocken mit den Schultern. »Vielleicht liegt es daran, daß es eine Kopie ist.«
|113| »Nein, nein«, widersprach Schrödinger energisch. »Ich habe das Original gesehen. Und diese Kopie stammt von einem meiner besten Freunde, einem begnadeten Fälscher.«
Oliver blieb reserviert. »Tamara de Lempicka kann sich nie entscheiden, ob ihre Bilder den Betrachter anmachen sollen oder nicht.«
»Sie stimmen mir also zu? Der Nippel enttäuscht.«
»Nicht nur ihre Nippel. Alle ihre Bilder schrammen hart am Kunstgewerblichen vorbei – wenn Sie mich fragen.«
»Sie sind streng, Oliver. Aber Sie haben das Recht dazu. Ich habe Ihre Studien ja gesehen. Das mit den Nippeln haben Sie raus!«
»Ich tupfe da immer nur was hin.«
»Das ist es ja! Ich bin ein Bewunderer Ihrer Nippel.«
Oliver übte sich in Bescheidenheit: »Im Grunde sind es Kommas.«
»Sie sind ein Naturtalent!«, entschied der Zauberer und richtete sich an Do: »Ich hoffe, das ist nicht zu anzüglich, aber er muß brillante Vorlagen haben.«
»Es
ist
anzüglich«, sagte sie und wandte sich dem Lempicka-Gemälde zu. »Es liegt übrigens an der Farbe. Das Rosa ist zu bonbonhaft.«
Schrödinger nickte. »Kein Glanz. Aus dem rechten Nippel ist irgendwie die Luft raus.«
»Man darf beim Nippelmalen nicht nachdenken«, erklärte Oliver. »Ich lasse sie einfach so aus dem Stift kullern wie Häkchen beim Ausfüllen eines Fragebogens.«
»Mehr bedeuten sie dir nicht?« entschlüpfte es Do.
|114| »Ich
wußte
ja, daß es Ihre sind!«, flüsterte der Zauberer zufrieden.
»Ich hau die Sachen einfach so aufs Papier!« fuhr Oliver fort. »Wenn ich perfekt sein wollte, käme nichts dabei raus. Zuviel Perfektion ist unmenschlich.«
»Oliver, das ist es!« rief Schrödinger. »Ich habe mich über den kleinen Nippelfehler immer geärgert, aber das sollte ich nicht. Zuviel Perfektion ist unmenschlich. Sie sagen es.«
»Eine Nippel ist ein Nippel …«, sagte Do. »Manchmal verstehe ich diese ganze Aufregung um die weibliche Brust nicht. Könnten wir jetzt bitte über etwas anderes reden? Ich fühle mich irgendwie in der Unterzahl.«
Schrödingers Gesicht trug die zartrosa Färbung des linken, des gelungenen Lempicka-Nippels. Er sagte: »Sie haben recht, Do. Reden wir nicht weiter darüber und gehen wir wieder bechern. Ich habe es ernst gemeint, als ich gesagt habe,
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