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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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sondern lediglich der Startpunkt eines festgefügten Alphabets neu bestimmt wurde. Abheben war Mathematik, mischen Zufall. Und das war das Problem: Jenny hatte soeben die Kette aus Abhebungen mit einem Element der Mischung verunreinigt. Ihre stupide Ichfixiertheit hatte Oliver innerhalb von zwei Sekunden in eine aussichtslose Lage gebracht, in eine klassische Plan- B-Situation . Was aber war Plan-B? Es gab keinen. Oliver mußte weitermachen, als wäre nichts geschehen; die Gesetze des Showbiz verlangten es. Vielleicht konnte er den Trick rhetorisch retten: Eine falsche Karte von sechzehn war eine akzeptable Fehlerquote.
    Lustlos und nervös blätterte er die Karten auf. Es erschienen: ein As im ersten »Zimmer«, ein König im zweiten, eine Königin im dritten und zuletzt ein Bube im vierten. Es sah also ganz gut aus. Einigermaßen beruhigt nahm Oliver die zweite Runde in Angriff, bei der es aber nicht so glatt lief: ein König im ersten, im As-Zimmer; ein |169| As im zweiten, im Königszimmer; dann ein König im Damenzimmer und eine Dame im Bubenzimmer.
    »
Die
Runde hat sie aber komplett versaut«, kommentierte der pausbäckige Adrian den totalen Zimmerbelegungsfehlschlag.
    Am liebsten hätte Oliver ihm die verbliebenen Karten mit der Bemerkung: »Mach
du
doch weiter, du neunmalkluger Korinthenkacker!« ins Maul gestopft. Statt dessen sagte er: »Jeder haut mal daneben. Mal sehen, wie’s weiterläuft.«
    Und die Antwort war: sehr schlecht. Oliver war geliefert. Am Ende lagen statt der vorgesehenen vier nur zwei einsame Asse, sowie ein Bube und ein König im As-Zimmer, die beiden anderen Asse teilten sich mit zwei Königen das Königszimmer, drei Damen und ein König (der Glückliche! – innerlich rettete Oliver sich in Sarkasmus) belegten das Damenzimmer, und schließlich sah sich eine Dame (
die
Glückliche? – wohl eher nicht) im vierten Zimmer drei Buben gegenüber.
    Inzwischen waren Gekicher und Gemurmel aufgekommen. In die großen, traurig geweiteten Augen seines Sohnes zu sehen versetzte Oliver einen Stich. Eine Welle des Mitleids für das schweigend auf die Karten starrende Kind erfaßte ihn. Er verstand einfach nicht, wie es sein konnte, daß
eine einzige
falsche Karte das ganze System derart durcheinander warf. Obwohl er nicht an Hexerei glaubte, mußte er sich selbst ermahnen, in Jenny keine Hexe zu sehen. Er befürchtete, sie würde boshaft, machtgierig und mißgünstig werden. Er hätte schreien können vor ohnmächtiger Verzweiflung, aber er beherrschte sich.
    |170| Er gab sich betont locker und sagte: »Okay, Jungs, das war irgendwie nichts, kann ja nicht alles klappen im Leben. Aber jetzt habe ich eine lustige Sache für euch, hier, total cool, wer hätte denn gern eine
Kaugummizigarette

    Im Ergebnis erreichte er damit zweierlei: Erstens ließen die hämischen Kommentare über seinen Kartentrick nach (was er gehofft hatte), doch zweitens löste sein Angebot einen ebenso lärmenden wie lähmenden Meinungsstreit unter den Siebenjährigen aus. Alle waren von ihren Eltern schon in jüngsten Jahren auf eine bestimmte Haltung gegenüber Zigaretten eingeschworen worden und übertrugen diese automatisch auf Kaugummizigaretten. Es bildeten sich zwei Fraktionen, die sich gegenseitig mit der gleichen Unerbittlichkeit und quasireligiösen Inbrunst bekämpften wie Raucher und Nichtraucher.
    »Nee, dürfen wir nicht.«
    »Aber klar doch. Kaugummi. Super.«
    »Meine Mama hat zu meinem Bruder gesagt, wer Kindern Zigaretten anbietet, ist wahrscheinlich ein Dealer.«
    »Sind die mit Himbeer- oder mit Erdbeergeschmack?«
    »Was ist ein Dealer?«
    »Zigaretten sind was ganz Schlimmes. Mein Opa stirbt bald davon. Nächste Woche oder so.«
    Eine bleierne Müdigkeit überfiel Oliver. Irgendwann raffte er sich aber auf, mäßigend einzugreifen: »Kinder, bitte, es ist wirklich nur
Kaugummi

    »Ist es nicht!«, widersprach Jenny.
    Immer noch wütend auf sie, sagte er: »Jenny, halt deinen Mund!«
    »Es sind
Zigaretten
. Sie sehen aus wie Zigaretten, sie |171| sind verpackt wie Zigaretten und man kann sie zwischen die Finger nehmen wie Zigaretten. Man wird vom
Umgang
mit Zigaretten genauso süchtig wie vom Tabak.«
    »Wo hast du diesen Blödsinn her?«
    »So etwas lernen wir in der
Schule

    »Jenny, stör hier nicht den Ablauf. Mit zehn Jahren sind Zigaretten noch kein Thema.«
    »Die meisten Raucher fangen
mit elf
an!«
    »Das ist Unsinn.«
    »Ist es nicht.«
    »Zum Teufel, Jenny, es geht hier und heute nicht

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