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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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an.«
    Sie protestierte: »Es ist doch
mein
Anschluß.«
    »Man muß nicht
stundenlang
telefonieren«, erklärte er mit Bestimmtheit und fügte hinzu: »Früher hatten wir überhaupt keine
eigenen
Anschlüsse.«
    »Aber heute gibt es sie. Und wir haben sowieso Nulltarif.«
    Das war ein guter Spruch, um zu explodieren: »Es ist verflucht noch mal nicht
alles
umsonst, Jenny!
Darum
geht’s.«
    Do – ganz so, als gehe sie der Streit nichts an – räumte weiter auf und fiel ihm moralisch in den Rücken. »Oliver, die Zeiten haben sich geändert.«
    »Es ist einfach nicht notwendig«, erklärte er, »jede verfluchte belanglose Sekunde des Lebens in Echtzeit zu kommentieren und weiterzutratschen.«
    »Überlaß das Jenny. Es sind ihre Sekunden.«
    »Do, sie ist
zehn

    Jonas kam in den Raum. »Ich will auch einen eigenen Anschluß. Mama hat gesagt, ich bekomme einen zum Geburtstag.«
    »Ich habe gesagt, wenn du groß bist, bekommst du einen.«
    »Ich bin jetzt groß. Wenn man Geburtstag hat,
ist
man groß.«
    Jenny schrie: »
Jede
Sekunde des Lebens ist wichtig.
Jede jede jede
Sekunde!«
    »Ja, das findet deine Mutter auch«, sagte Oliver. »Besonders die Sekunden, wenn wir nicht da sind.«
    |184| Do warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
    Jonas insistierte: »Ich kann jetzt alle Zahlen, und deswegen kann ich auch telefonieren.«
    Do sagte. »Oliver, treib es nicht auf die Spitze.«
    »Sehr treffend ausgedrückt«, sagte er: »Auf die Spitze   … Und was ist das überhaupt für eine Information, über die du angeblich verfügst? Was wolltest du vorhin sagen?«
    Jonas begann demonstrativ zu zählen: »Eins, zwei, drei   …«
    »Wenn du es unbedingt so willst!«, sagte Do und kam einen Schritt näher. »Also bitte: Ich weiß über die Vorgänge
in deiner Werkstatt
Bescheid.«
    Oliver stutzte. »Die Vorgänge in meiner Werkstatt?«
    Jenny nahm den Hörer wieder ans Ohr und erkundigte sich. »Ariane, bist du noch dran?«
    »…   neun, zehn, elf, zwölf   …«
    Do sagte: »Willst du allen Ernstes, daß ich
noch deutlicher
werde? Willst du das wirklich? Hier? Jetzt!?«
    »Wenn’s sein muß«, schrie Oliver. »Wenn’s sein muß!«
    »Also bitte«, erwiderte Do. »Ganz wie du willst. Dann
werde
ich deutlich: Wer ist das in deiner Werkstatt? Sag es uns. Wir hören
alle
zu, Oliver.
Wer ist es

    »…   neunzehn, zwanzig, einundzwanzig   …«
    Und dann hörte Oliver sich etwas Sonderbares sagen, einen Satz, der alles veränderte, der ein wirres Gemisch aus diffusen Möglichkeiten und Vermutungen unwiderruflich in Wirklichkeit verwandelte. Er sagte: »Du kennst sie nicht.«
    Als Oliver zum ersten Mal einen nackten Frauenkörper gezeichnet hatte, begriff er,
wie sehr
zeichnen bedeutete, |185| Wirklichkeit zu erschaffen. Mit wenigen Bögen hatte er weibliche Blöße hervorgebracht, und was er sah, stand der Realität an psychologischer Macht und sinnlicher Plastizität in nichts nach, ja übertraf diese sogar. Diese Entdeckung war ebenso erregend wie die auf dem Papier erschaffene Nacktheit selbst. Und das bewies: So wie die Wirkung seiner Zeichnung auf einer kunstvollen Täuschung beruhte, konnte auch Realität aus einer Summe von Täuschungen hervorgehen.
    Die Stille, die er geschaffen hatte, war aus einer Täuschung hervorgegangen. Jonas hatte mit dem Zählen aufgehört, weil er spürte, daß es niemanden interessierte, wie weit er ohne Fehler kommen würde. Dos Schweigen, das ebenfalls der Täuschung entsprang, dauerte lange. Oliver fühlte sich mächtig: Das hatte er bewirkt. Auch Jenny schwieg. Lediglich aus dem Telefonhörer drang eine ferne verwirrte Stimme. »Jenny   … hallo   … alles in Ordnung?«
    Sie hob den Hörer langsam ans Ohr und sagte: »Ich rufe dich zurück.«
    Do ließ Oliver ohne ein weiteres Wort stehen und ging mit den Kindern hinaus. Für einen Moment hatte Oliver sich allmächtig gefühlt, doch ebenso schnell, wie es gekommen war, verging das Gefühl wieder. Je älter er wurde, desto kürzer wurden seine Rauschzustände, so kam es ihm vor. Und im gleichen Maße wurden die nachfolgenden Katerstimmungen länger. Er empfand es als niederschmetternd, wie weit sein indirektes Eingeständnis, er habe eine Geliebte, von der Wahrheit entfernt war. Und er fragte sich, ob sich mit einer Geliebten das Leben besser aushalten ließ. Vielleicht war es eine Erleichterung, sich davonstehlen |186| zu können in die Arme einer anderen. Doch im selben Moment raubte der Gedanke an Sex ihm jeden Mut. Sex

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