Schroedingers Schlafzimmer
der Umgang mit Spielzeugpistolen einen Jungen nicht |180| zwangsläufig zum Waffenfetischisten werden ließ. Trotzdem führte Jonas ’ Begeisterung für Schwerter, Gewehre, Laserkanonen oder Harpunen immer wieder zu Diskussionen zwischen Oliver und Do, und im Moment tendierte seine Kompromißbereitschaft gegen Null.
Jonas begann herzzerreißend zu weinen. »Aber warum denn nicht? Heute ist doch mein
Geburtstag
!« Mit wäßrig verheultem Blick sah er zuerst den Revolver an und dann Oliver.
Jenny telefonierte immer noch, was sie aber nicht daran hinderte, ins Zimmer zu kommen und zu erklären: »Papa hat recht: Waffen sind primitiv.« Sie sagte es in dem belehrend neunmalklugen Ton, den sie sich ihrem Bruder gegenüber angewöhnt hatte. Im Vorbeigehen angelte sie sich ein Würstchen von der Servierplatte und setzte ihr Telefonat mit einem kurzen Lagebericht fort: »Hier ist gerade die Hölle los. Bei Jonas Geburtstagsfeier ist alles schiefgegangen, was man sich nur vorstellen kann.«
»Da hast du’s«, sagte Oliver gepreßt, weil er sich keinen lautstarken Wutanfall gestatten wollte, solange Jenny mit dem Telefonhörer im Raum war. »Es macht schon die Runde, daß du mir in den Rücken gefallen bist.«
Do beachtete ihn nicht und beugte sich zu dem schluchzenden Jungen hinunter. »Im Moment sind wir alle ein wenig gestreßt«, tröstete sie das Kind. »Und du hast es ja gehört: Jenny findet das mit der Pistole auch nicht so toll.«
»Aber es ist doch
meine
Pistole«, bettelte der Junge verzweifelt.
»Jenny hat hier nichts zu melden!«, erklärte Oliver und |181| nahm Jonas die Pistole aus der Hand. Im Moment konnte er es sich nicht leisten, einen potentiellen Verbündeten zu verlieren. Eine kurze Untersuchung des Spielzeugs ergab, daß ein Hebel den Abzug arretierte. Oliver entsicherte die Waffe und gab sie dem Jungen zurück. »Das war’s schon.«
Die verheulten Augen des Kindes füllten sich mit dem Ausdruck tiefer Seligkeit. Um zu einer vergleichbaren Glücksempfindung zu kommen, dachte Oliver, müßte ihm irgend etwas Unvorstellbares widerfahren. Vielleicht müßte ihm Heidi Klum nackt Modell sitzen oder eine Fee seinem Sohn eine glänzende Zukunft als Friedensnobelpreisträger voraussagen. Aber daraus würde wohl nichts werden: Der Junge zielte mit dem Revolver begeistert auf Dos Plüschkätzchen und drückte ab. Oliver riß sich zusammen. Do rollte die Papierdecke vom Tisch und stopfte sie in den Müllsack, den sie bereitgestellt hatte.
Oliver sagte: »Wann will Schrödinger seinen Kasten zurückhaben?«
»Darüber haben wir nicht gesprochen. Er braucht ihn ja nicht.«
»Hat er dir das Ding gegen Vorkasse überlassen, oder bezahlst du hinterher?«
»Er will kein Geld dafür.«
»Ich habe auch nicht von Geld gesprochen.«
Sie hielt inne. »Was soll das heißen?«
»Das weißt du. Wir sollten endlich Klartext reden.«
»Worüber, bitteschön?«
»Über uns.«
»Über uns?«
»Und über dich und Schrödinger.«
|182| »Von mir aus können wir über alles reden. Aber nicht, solange die Kinder wach sind.«
»Gibt es denn etwas, das du mir zu sagen hast, was für Kinderohren nicht bestimmt ist?«
»Das fragst du
mich
?«
»Himmel, Do, wen sonst? Seit dieser Schrödinger hier sein Unwesen treibt, bist du nicht mehr wiederzuerkennen. Von mir willst du nichts mehr wissen, und er umgarnt dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit seinem widerlichen Alt-Herren-Charme.«
Es klang wie eine unmißverständliche Drohung, als sie sagte: »Ja, Oliver, er
hat
Charme! Und auch wenn du immer wieder betonst, daß er älter ist als wir, wirst du daran nichts ändern.«
Oliver versuchte, sich auf ein Geständnis gefaßt zu machen. »Ich verstehe dich also richtig: Du
hast
etwas mit ihm.«
Sie sagte: »Sollte ich?«
»Was ist denn das für eine blöde Frage?«
»Oliver, alles, was du hast sind Mutmaßungen. Ich habe
Informationen
.«
»Informationen?«
Jenny latschte herein, um sich noch ein Würstchen zu holen. Oliver wandte sich von Do ab und stürzte sich auf seine Tochter. Es machte ihn rasend, daß sie nicht in der Lage war, sich
vorher
zu überlegen, wie viele Würstchen sie essen würde. Er haßte dieses dauernde planlose Agieren nach Augenblicksgelüsten. Er mußte sich abreagieren, aber das ließ sich nicht allein über die Würstchenfrage erledigen. Da sie immer noch telefonierte, fuhr er sie an:
|183| »Es reicht jetzt, Jenny. Ich sehe mir dieses ewige Telefonieren nicht länger mit
Weitere Kostenlose Bücher