Schroedingers Schlafzimmer
vielem klargekommen: zum Beispiel mit der erbarmungslosen Undankbarkeit der Kinder oder mit Jennys nervtötenden Teenagerallüren. Doch es war zuviel, daß Do auf dem Höhepunkt seiner Niederlage ihren Platz an der Tür verließ und mit einem eigenartigen Kasten, den er noch nie zuvor gesehen hatte, in den Raum schritt. Sie ging vor den Kindern in die Hocke und sagte: »Einen Moment noch!«
Oliver trat paralysiert zur Seite. Es stellte sich heraus, daß man aus dem mattschwarzen, in etwa schuhkartongroßen Kasten seitwärts eine Schublade herausziehen konnte. Als Do Jonas und seine Freunde bat, sich davon zu überzeugen, daß es sich wirklich um einen »ganz normalen« leeren Kasten mit Schublade handelte, kamen sie dieser Aufforderung ganz nach Kinderart mit eifrigem Schubsen und Gedränge nach. Do gab sich nicht die geringste Mühe, ihren Trick mit zauberinnenhafter Manier oder gestischem Hexenbrimborium aufzupäppeln. Sie setzte ganz auf die Wirkung dessen, was sie vorzuführen gedachte: Sie kündigte an, sie werde ein Kätzchen verschwinden lassen. Dabei hielt sie ein Plüschkätzchen in die Höhe, legte es in die geöffnete Schublade und schloß diese langsam. Anschließend ließ sie ihre Hände ein paar Sekunden lang über dem nunmehr geschlossenen Kasten schweben und entrichtete mit einem gedehnten »Hooookus-pooookus-Fidibus! Dreimal schwarzer Kater« ihren |175| recht abgestandenen Verbaltribut an die Rituale der Magie. Als sie die Schublade wieder öffnete, war sie leer.
Oliver fragte sich, wieso die allereinfachsten, die ewiggleichen Kaninchen-und-Hut-Mechanismen immer wieder funktionierten? Er war genauso verblüfft wie die Kinder. Der Beifall machte Do verlegen. Meistens fand Oliver ihre bescheidene, fast defensive Art sympathisch und anziehend, aber jetzt machte sie ihn rasend. Er konnte noch gar nicht fassen, was geschehen war. Wochenlang hatte sie gebetsmühlenartig wiederholt, er solle die Show abblasen. Immer und immer wieder hatte sie ihm zu verstehen gegeben, daß er nun einmal kein Zauberer
sei
. Und nun stempelte sie ihn mit einem veralteten, aber demütigend perfekten Trick zum magischen Totalversager. Oliver kam sich vor wie einer jener väterlichen Deppen, vor denen selbst kleinste Kinder schon verstohlen Reißaus nehmen. Darüber hinaus fragte er sich zwei Dinge: Woher hatte Do den Trick (von Schrödinger natürlich) und die zweite, schwerwiegendere Frage lautete, welchen Preis hatte der Zauberer dafür verlangt?
Olivers Gedanken und Empfindungen versanken in einem Strudel aus gekränktem Stolz, Eifersucht und ohnmächtiger Wut. Hätte er auch nur einen Funken magischer Wirkungsmacht in sich gewußt, eine Spur telekinetischer oder parapsychologischer Begabung, dann hätte er das Plüschkätzchen – wo auch immer es gerade sein mochte – in einen realen Katzenkadaver oder etwas ähnlich Schauderhaftes verwandelt. So aber mußte er tatenlos mit ansehen, wie Do die Schublade ein zweites Mal öffnete und das unschuldige Plüschtier daraus hervorholte, ganz |176| unversehrt natürlich, wovon sich die Kinder schreiend und rangelnd überzeugten.
Do verhielt sich professionell. Sie weigerte sich, den Trick zu wiederholen. Während Olivers pseudomagischen Herumstümperns hatte sie die obligatorische Geburtstagstafel mit Bockwürstchen und Kartoffelsalat vorbereitet. Sie klemmte sich den schwarzen Kasten lässig unter den Arm und verließ mit den Kindern das Zimmer. Oliver starrte den Tisch an. Die Baumarktschnüre hatte er vor zwei Tagen nach einer komplizierten Berechnung in dierichtige Länge geschnitten. Neben den Schnüren lag der Zauberstab, den er eigentlich hatte verbiegen wollen. Er hatte ihn ebensowenig gebraucht wie die Schachtel mit den Kaugummizigaretten. Der Anblick dieser Gegenstände, die niemanden interessiert hatten, ließ ihn in Selbstmitleid vergehen. Und gleichzeitig kochte unbändige Wut in ihm. Er nahm sich vor, seinen emotionalen Ausnahmezustand zwei oder drei Stunden lang zu konservieren. Er würde es nicht zulassen, daß irgend etwas den Grad seiner Erregung dämpfte. Er wollte, daß Do
alles
abbekäme, was an Wut und Unversöhnlichkeit in ihm steckte. Er wollte, daß sie bekam, was ihm gerecht erschien: seinen Haß.
»Du wolltest mich lächerlich machen!!« schrie er, als die letzten Eltern mit ihren Kindern gegangen waren. »Du hast mich in unvorstellbarer Weise vor den Kindern unserer Freunde bloßgestellt und gedemütigt!«
Jonas hatte sich mit seinen Geschenken
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