SchrottT (German Edition)
Scheine. Viel zu unpraktisch. Und schlecht zurückzuverfolgen.
Colin fluchte. Er wollte nicht gefangen sein. Er wollte frei sein. Auch wenn es komplizierter war. Er war nicht blöd. Er fand auch für schwierige Probleme eine Lösung. Zum Beispiel konnte er einfach auf den Wein verzichten, um kein Bezahlproblem zu haben. Ja, das war die Lösung! Er lachte laut, und eine Oma, die drüben aus dem Fenster sah, verschwand eilig aus der Öffnung.
Colin blieb plötzlich stehen. Sah sich um. Es war still. Niemand auf der Straße.Er ging weiter. Beschleunigte den Schritt. Konnte die Gasse ein solches Echo erzeugen?
Konnte sie nicht. Zwei Straßen weiter war Colin sicher, dass jemand ihm heimlich folgte. Nicht heimlich genug, um nicht bemerkt zu werden. Aber heimlich genug, um Colins Richtung zu ändern.
Wenn er sich beeilte, kam er noch pünktlich zum Beginn der Nachtschicht.
Ruhrstadt, vielleicht abends
Colin ist einigermaßen munter und macht Liegestütze in seiner Zelle. Als die Tür aufklappt, ist er gerade bei Nummer 34, aber er ist sich relativ sicher, dass er sich irgendwo zwischen 15 und 25 verzählt hat.
Der eintretende Schrank trägt die Uniform der Gefängniswärter, wenn dies denn ein Gefängnis ist. Colin ist in dieser Hinsicht unsicher, denn er hat zuvor noch nie eines von innen gesehen. Dergleichen wird in seiner Heimat totgeschwiegen. Es ist eine Art blinder Fleck auf der Netzhaut des GmbH-Landes; gelegentlich fragt man sich, wohin sie denn die wenigen Verbrecher bringen, die von sich reden machen. Manche vermuten, man habe Gefängnisse als große Posten von der Ausgabenseite des Landes gestrichen, und im Übrigen bedürfe die ewige Baustelle Stuttgart 21 ständig neuen Betons.
Der Wärter dreht Colin wortlos einen Arm auf den Rücken und schmeißt ihn mit der anderen Schaufelhand rücklings auf die Pritsche. Colin beißt sich auf die Lippe, als ein Muskel unnatürlich gestreckt wird. Der Schrank fesselt ihn an die Pritsche, dann lässt er von ihm ab. Er atmet nicht einmal schwer, als er sich an der gegenüberliegenden Wand zu Boden gleiten lässt und in aller Ruhe eine Zigarette anzündet.
Colin vermeidet es, den Wärter auf das Rauchverbotsschild zu verweisen, das an der Innenseite der Zellentür angebracht ist.
»Wir Männer sind schon arme Schweine«, sagt der Schrank unvermittelt. Colin starrt ihn an. Glatt rasiert an Kinn und Schädel, mit vorspringender Nase und Falten um die Augen sitzt sein Peiniger da, zieht an seiner Kippe und ascht ihm auf die schwarz-grünen Texturfliesen. »Total benachteiligt von der Evolution«, fährt Schrank fort. »Wir Männer sind immerzu bereit, ständig volle Samenspeicher. Und wozu? Wenn’s hoch kommt, haben sie einmal die Woche Lust, diese … Weibchen, öfter brauchen sie’s nicht, lassen uns abblitzen: ›Schönen Tag noch!‹«
Während Echos dieser Worte wirkungslos durch Colins verunsicherten Geist schwappen, drückt Schrank seine Kippe aus und bläst die letzte Gestankswolke gen Decke. »Und was haben wir davon? Überschüssige Erektionen, die albernerweise sogar zu Erektionen bei unbeteiligten Beobachtern führen können. Hier!« Schrank strafft den Stoff seines Overalls, sodass eine Beule zwischen seinen Beinen erkennbar wird. Dann zeigt er auf Colin. »Hab dich nämlich beim Wichsen beobachtet.«
Colin bricht der Schweiß aus und er stottert eine Entschuldigung.
»Keine Angst, ich bin nicht schwul«, winkt der Wächter ab. »Bloß voller sexueller Frustration. Ich sitz hier den ganzen Tag vor dem Überwachungsbildschirm und zerbrech mir den Kopf, wie ich heute Abend meine Perle rumkriegen soll. Und weil mir nichts einfällt, lese ich sogar dumme Bücher über menschliche Untiefen, die beim Zusammenbruch der Cloud zutage treten. Bloß um die Erektion loszuwerden.«
»Tragisch«, bringt Colin hervor. Er überlegt fieberhaft, wie er die Situation zu seinen Gunsten ausnutzen kann, aber er sieht immer nur einen Bildschirm vor seinem geistigen Auge, auf dem sich jemand einen runterholt, der ihm selbst verdammt ähnlich sieht. Und er denkt an die Reinigungskraft neben der Kaffeemaschine. Er möchte dieser Person nie wieder begegnen.
»Ohne die Cloud wären ein paar Leute ziemlich gearscht. Weil sie von zig Leuten auf der ganzen Welt den Penis kennen, aber nicht die Namen ihrer Nachbarn. Weißte, wieso das wichtig ist?«
»Weil man Leute nicht so ohne Weiteres umbringt, deren Namen man kennt?«
»Ganz genau! Heiße übrigens
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