SchrottT (German Edition)
Feier deines ersten Arbeitstages. Was meinst du?«
Das ließ sich Colin nicht zweimal sagen. Außerdem entband es ihn von der Pflicht, doch noch mehr über seine Arbeit zu erzählen. Zu erzählen, wie er den ganzen Tag nur zwei Pinkelpausen und die Mittagspause gehabt hatte. Zu erzählen, wie ermüdend es war, sich die ganze Zeit die dummen Witze seines Vorgesetzten anzuhören, der ihn einarbeitete.
Zu erzählen, was er auf den vier Bildschirmen die ganze Zeit überwacht hatte: andere Überwacher.
Die Pizza gab Colin neue Kraft. Und Aufmüpfigkeit.
»Es ist eigentlich keine Arbeit für mich«, sagte er am Esstisch. »Ich bin doch eher der kreative Typ.«
»Oh«, machte Mama, »das ist ja ganz was Neues. Entschuldigung. Das sollte keine Beleidigung sein. Aber deine Reaktion wundert mich nicht. Kreativität klingt nach freier Zeiteinteilung, nach Herumlungern, nach gemütlichem Warten auf die nächste kunstvolle Idee. Du vergisst, dass zu jeder Form der Kreativität auch so was wie ein Handwerk gehört.«
»Handwerk?«, fragte Colin und dachte an elektrische Schraubenzieher.
»Handwerk. Schriftsteller müssen die Sprache beherrschen und mit ihren Agenturen verhandeln. Ihre Rechte kennen. Und recherchieren. Maler und Zeichner müssen mit ihren Pinseln und Stiften umgehen können. Architekten müssen wissen, wie man ein Haus entwirft, das nicht beim ersten Orkan wegfliegt.« Mama räumte die Teller zusammen. »Ein Handwerk erlernen ist harte Arbeit, weil es niemandem in den Schoß fällt, auch wenn manche Leute das glauben. Ausgenommen davon sind vielleicht ein paar Genies. Und auch das Folgende ist keine Beleidigung: Leider bist du keins.«
Das zu akzeptieren, fiel Colin schwer. »Dennis hat gesagt, dass die Arbeit eine Ehre ist. Eine Ehre! Sie ist vor allem todlangweilig. Außerdem kann ich mich nicht ununterbrochen konzentrieren.«
»Glaubst du, ein Sänger kann mitten im Lied mal kurz abschweifen und an was ganz anderes denken?«
»Ja«, sagte Colin. »Ganz sicher sogar.« Er dachte kurz nach. »Ich will Sänger werden.«
»Oh mein Gott!«, hauchte Mama. »Also gut. Dann muss ich dir jetzt leider etwas mitteilen, das dir nicht gefallen wird. Bist du bereit?« Sie holte ein frisches Taschentuch hervor.
»Nein«, sagte Colin und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Papa will, dass du in seiner Firma arbeitest. Wenn du das ablehnst, gibt es Ärger.«
»Und wenn schon.«
»Für mich .« Mama putzte sich die Nase.
Colin gaffte. Wollte seine Mutter ihn etwa erpressen?
»Colin«, sagte Mama, »du weißt, dass ich den Dennis nicht freiwillig heirate, oder?«
Colin murmelte etwas. Er war selbst nicht sicher, was.
»Das ist keine Heirat im klassischen Sinn. Ein treffenderer Begriff wäre …« Ihr Blick suchte auf dem Küchenschrank nach dem passenden Wort, fand es aber nicht. Nur den Einkaufszettel. »… Einkauf«, sagte Mama tonlos.
Colin schüttelte heftig den Kopf. »Wir leben in einem freien Land. Du kannst machen, was du willst. Niemand zwingt dich zu irgendwas.«
»Der Kontostand zwingt mich, Colin.«
»Das verdammte Geld!« Colin sprang auf, warf den Küchenstuhl dabei um. »Es gibt doch andere Jobs! Auch für dich …«
»Nein, ich …«
»Niemand«, fuhr Colin ihr über den Mund, »absolut niemand darf jemanden zu etwas zwingen, was er nicht will. Notfalls verdiene eben ich das Geld.«
»Als Musiker, aber sicher doch.« Mama nickte und verbarg ein abschätziges Lächeln halbherzig hinter ihrem Taschentuch. »Okay, du kannst Noten lesen und ein bisschen Violine spielen. Versuch mal, in der Fußgängerzone ein paar Euro zu sammeln. Es erspart uns leider nicht die Hochzeit.«
»Uns?«
»Er wird mein Mann und dein Vater.«
Colin stürmte hinaus. »Ich geh in die Disco.«
»Hast du nicht Nachtschicht?«
»Nicht dass ich wüsste«, versetzte Colin, sprang in seine Turnschuhe und war schon draußen. Er brauchte keinen Papa. Mama und er kamen gut ohne einen selbstherrlichen Boss aus, der erwartete, dass alles nach seiner Pfeife tanzte. Colin wollte tanzen, wie ihm die Gelenke gewachsen waren. Er wollte schreien, aber an der Kreuzung waren Kameras angebracht. Hatten die eigentlich Mikrofone?
Durch die Dämmerung marschierte Colin in die Altstadt, um sich eine Flasche billigen Weins zu kaufen. Dann fiel ihm ein, dass er sein Bargeld zu Hause vergessen hatte. Würde er aber mit dem Handy bezahlen, konnte man das zurückverfolgen. Andererseits nahmen nur noch wenige Geschäfte Münzen und
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