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SchrottT (German Edition)

SchrottT (German Edition)

Titel: SchrottT (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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zu verleihen. »Keine Sorge, hier auf einem meiner Bildschirme fehlt auch noch ein Kollege.«
    »Dann bin ich ja nicht der Einzige, dessen Uhr mal wieder gestellt werden muss. Ich heiße Wolf, und du?«
    »Colin.« Der Kollege hatte die Figur einer Bandnudel. Colin hätte ihm spontan etwas von seinem Pausenbrot angeboten, hätte er eines dabeigehabt.
    Während Wolf sich einloggte, überflog Colin routinemäßig die eigenen Bildschirme. Sieh an, jetzt war auch der neunte und letzte Platz besetzt.
    Colin sah genau hin.
    Oh nein!
      
    Nachdem Colin einige Minuten geradeaus gestarrt hatte, überkam ihn jene bleierne Langeweile, die sich unvermittelt in Sekundenschaf verwandeln konnte. Nicht einmal das Grübeln über die Frage, welcher Zufall oder welche beknackte Software Überwacher und Überwacher-Überwacher direkt nebeneinandersetzte, hielt Colin wach. Dabei war es nicht einmal halb elf – eine Uhrzeit, um die Colin normalerweise alles andere als müde war. Es half nur eines: eine Unterhaltung mit dem Nachbarn. Unauffällig, um Colins Überwacher nicht zu alarmieren. Leise, um die anderen Kollegen im Großraumbüro nicht auf den Plan zu rufen. Fachfremd, um nicht wie ein ahnungsloser Anfänger zu wirken. Dafür eignete sich – unter Männern – kein Thema besser als Fußball.
    »Hast du am Samstag Bundesliga gesehen?«, sagte Colin in der, wie er hoffte, richtigen Lautstärke: leise genug, um nicht aufzufallen, laut genug, um nicht ignoriert zu werden.
    »Mach mir nix aus Fußball«, kam es einsilbig zurück.
    Colin sah seinen Nachbarn vor sich auf dem Bildschirm: In keiner Weise erweckte dieser dort den Anschein, mit jemandem zu reden. Verzweifelt suchte Colin nach einem anderen Thema, um das Gespräch nicht versickern zu lassen. Glücklicherweise nahm ihm der Kollege die Arbeit ab.
    »Schon das neue Album von Müllberg runtergeladen?«
    Colin grinste.
    Ja, das hatte er in der Tat.
    Er versetzte seinen Körper in eine Art autarken Beobachtungsmodus und konzentrierte sich auf das Gespräch. Darin hatte er Übung, schließlich war er noch bis vor Kurzem zur Schule gegangen.
    »Klar«, sagte Colin. »Es ist der Hammer.«
    »Eine kreative Krise ist es, sonst nichts! Die Jungs sind total kommerziell geworden. Ein Fernsehauftritt, irgendein Manager macht massenkompatible Vorschläge, und schon ist es vorbei mit dem Crap. Mann, die haben erkennbare Melodien auf dem neuen Album! Melodien!«
    Colin schluckte. So hatte er das noch gar nicht betrachtet. Der Befund war nicht von der Hand zu weisen: Der anarchische Craprock auf dem neuen Album war im Vergleich zum Erstlingswerk so harmlos wie die Hexe, nachdem Hänsel und Gretel sie in den Ofen geschoben hatten. Man hörte noch ein paar Schreie, aber man musste keine Angst mehr um Leben und Verstand haben.
    »Auch wieder wahr, Wolf«, gab Colin zu.
    »Ich sag dir was, Kamerad, sie haben den Craprock verraten. Sie haben vergessen, worum es dabei geht. Und nenn mich Hungerhaken.«
    »Ich habe keinen Spitznamen. Du wirst mit Colin vorliebnehmen müssen.«
    »Gibt Schlimmeres«, konstatierte Hungerhaken.
    »Zumindest weckt dein Name interessantere Assoziationen als meiner«, meinte Colin.
    »Denkst du an Wolf den Flammenwerfer?«
    »Eigentlich nicht«, gab Colin zu. »Wer ist das?«
    Hungerhaken Wolf seufzte, und sein Körper schien sich auf Colins Bildschirm um wenige Pixel zu verschieben. »Einer der Fahnenträger bei den Aufständen in den Zehnerjahren.«
    Leider wusste Colin wenig über diese Aufstände. Internet, Schule und Mama schwiegen sich meistens darüber aus. »Nie gehört«, gab er zu.
    »Kein Wunder«, schnaubte Wolf. »Die Zensur wirkt.«
    »Zensur findet nicht statt«, zitierte Colin automatisch das Grundgesetz, weil es ihm in der Schule seit frühester Kindheit eingetrichtert worden war.
    »Kurzfassung für ahnungs- und spitznamenlose Muttersöhnchen: Vor 10 Jahren gingen die Leute auf die Straße, weil die Regierungen Milliarden an Steuergeldern den Banken in den Hintern schoben. Eine Umverteilung von den Armen an die Reichen.«
    »Echt?«, sagte Colin. »In der Schule haben wir gelernt, dass damals der Untergang Europas verhindert wurde.«
    »Der Untergang der Banken, ja. Aber nicht der Untergang des sozialen Miteinanders, der fand durchaus statt. Deshalb gingen die Leute auf die Barrikaden. Dabei hat’s natürlich auch gehörig geknallt.«
    »Linksextremer Terrorismus«, plapperte Colin nach, was ihm in der Schule eingetrichtert worden war.
    »Weißt du,

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