SchrottT (German Edition)
Rhythmen produzieren.
James zupfte an einer akustischen Gitarre, als hätte er noch nie etwas anderes getan, als brave Tänze gedudelt. Und Wolf spielte auf einer elektrischen Orgel.
Obwohl sich Colin alle Mühe gab, traf er andauernd die falschen Töne. Glücklicherweise waren die meisten Gäste zu angetrunken, um sich darüber zu ereifern.
Als ein Priester die Trauung vornahm, ergab sich für die Band eine Pause. Colin stand mit den anderen abseits der Hochzeitsgäste und versuchte, so viel wie möglich mitzukriegen. Einen echten Priester bekam man heutzutage selten zu sehen. Eine kirchliche Trauung kannte Colin nur aus Filmen. Die Braut trug ein ausladendes weißes Kleid. Colin stellte sich vor, was geschehen würde, wenn man alle Rüschen davon entfernen würde. Vermutlich stände die Braut dann nackt da, was genau genommen eine attraktive Vorstellung war. Insofern beneidete Colin den Bräutigam. Er selbst würde am heutigen Tage aller Voraussicht nach keinen Sex mehr bekommen. Andererseits: Vielleicht war ein weiblicher Gast interessiert an einem jungen Musiker mit geschickten Fingern?
»Mach dir keine Hoffnung«, sagte Wolf, der Colins Blicken gefolgt war. »Ich hatte gehofft, hier ein paar Geschäftskontakte zu knüpfen … aber die Leute hier sehen uns gar nicht.«
»Du bist halt zu schmal.« Colin hatte beste Laune und verkniff es sich nicht, Wolf dies spüren zu lassen.
»Wir gehören nicht zur Familie.«
Colin sah Wolf von der Seite an. »Wie meinst du das?«
»Hast du vor dem Tor die Luxuskarossen gesehen? Unter Mercedes parkt da nichts. Alles Bonzen von der GmbH.«
Colin beschloss, Wolf nichts von seinem Stiefvater zu erzählen. Natürlich arbeitete auch der Hungerhaken für ihn, aber sicher nur des Geldes wegen. Nicht aus Überzeugung. Das war zwar auch nicht Colins Grund, für die Observation Länglich GmbH zu arbeiten, aber Außenstehende könnten zu diesem Schluss kommen.
»Sie bezahlen uns für den Auftritt, oder? Sonst würden wir kaum Lala spielen, sondern was Richtiges, oder?«, meinte James. »Hier, einer hat mir bunte Pillen geschenkt.« Der Gitarrist rappelte mit einem dünnen Röhrchen. »Wollt ihr eine?«
»Ich mag mein Gehirn, wie es ist, danke«, versetzte Wolf. Daraufhin verzogen sich James und Siegfried hinter ein paar Büsche. Hungerhaken nickte mit dem Kinn in Richtung der Trauung, die sich langsam ihrem Höhepunkt näherte. »Das ist genau die Elite, die es ohne Zensur nicht geben würde.«
»Es gab sie auch schon vor der Zensur«, gab Colin zu bedenken. »Bloß hieß sie da noch nicht BaWü-Mafia.«
Wolf wischte den Einwand mit einer Handbewegung fort. »Eines Tages, Colin. Eines Tages.«
»Eines Tages – was?«
Der Hungerhaken blieb die Antwort schuldig. Vielleicht hatte er keine. Vielleicht lenkte ihn ab, was bei der Trauung geschah. Offenbar hatte der Priester gerade gebeten, man möge sich melden, wenn man etwas gegen die Hochzeit einzuwenden habe. Mehrere Männer waren aufgestanden. Leute riefen durcheinander, Colin verstand kein Wort.
»Da stimmt was nicht«, sagte Wolf leise.
Eine Sekunde später zuckte Colin zusammen, weil irgendetwas laut knallte. Jemand schrie. Weitere schrille Stimmen stimmten ein. Es knallte wieder. Und wieder.
Schüsse! Colin sah mit Schrecken, wie die Hochzeitsgesellschaft auseinanderstob. Die Gäste hatten bisher mit ihren breiten Rücken das Geschehen verdeckt. Jetzt sah Colin die Waffen. Automatische, handliche Schießprügel, mit denen wohlgekleidete Männer scheinbar wahllos auf Gäste zielten.
»Scheiße!«, schrie Wolf und nahm die Beine in die Hand.
Colin war am Boden festgefroren. Sein Herz dröhnte lauter als die Schüsse. Ihm brach kalter Schweiß aus, als er sah, wie sich die Rüschen der Braut dunkel färbten. Langsam sank sie in die Arme des Priesters, und um ein Haar wäre auch Colin umgefallen. Mehr Schüsse produzierten zusätzliches Adrenalin. Jemand rannte an ihm vorbei, riss ihn fast um. Ein anderer Mann rannte auf Colin zu. Ihre Blicke kreuzten sich. Dann stürzte der Mann vor Colins Füße.
Colin sah dahinter den Schützen. Sah den Lauf der Waffe, die auf ihn gerichtet war. Es knallte. Colin fiel zu Boden.
Er spürte seinen rechten Ellenbogen, auf dem er gelandet war. Verdammt! Steinplatten! Hätte er nicht auf den Rasen fallen können? Colin vermutete, dass Tote sich solche Fragen nicht stellen konnten. Folglich lebte er.
Der Schlipsträger, der vor Colins Nase in seinem eigenen Blut lag, vermutlich
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