SchrottT (German Edition)

Colin, nachdem er dreißig Sekunden lang die geschlossene Tür angeschaut hatte, um sicherzugehen, dass sie sich nicht wieder öffnete. »Wir waren beim Stromkabel stehen geblieben.«
    Tier kippte rücklings um, streckte die Beine die Wand hoch. »Der Journalist ist unser Untergang«, wimmerte er. »Er will uns umdrehen.« Anscheinend wirkte sich Tiers Körperhaltung positiv auf seinen Redefluss aus. »Gehirne waschen. Wir sind für ihn Indoktrinierungsmultiplikatoren. Ja, das sind wir.«
    »Kannst du das Wort einmal wiederholen, bitte?«, sagte Colin.
    »Njet.« Tier richtete sich auf und fing an, sich die Schultern zu massieren. Gleichzeitig tigerte er hin und her durch die Garderobe.
    »Und wieso sprichst du plötzlich russisch?«, wollte Colin wissen.
    »Ist hier demnächst zweite Amtssprache. Ich übe nur schon mal.«
    »So ein …«
    »Das stimmt, das mit der zweiten Amtssprache«, sagte James. »Stand irgendwo in einem Blog.«
    »In Blogs steht vieles«, versetzte Colin, »auch, dass die Welt hohl ist, die Mondlandung gefälscht und die Auktion von Aliens veranlasst.« Er schloss kurz die Augen. »Können wir noch mal kurz auf das Kabel zurückkommen?«
    »Is nich da«, grunzte Tier.
    Colin winkte ab. »Ja doch. Und du hast vergessen, wo es ist, richtig? Das kannst du mir nicht weismachen.«
    »Was ist denn das hier?«, sagte Tier plötzlich und starrte auf einen Gegenstand vor ihm. Colin wurde ungehalten. »Lenk nicht ab. Wir brauchen dieses Kabel, und …« Er sah auf die Uhr. »Und das in den nächsten zehn Minuten.«
    Tier drehte sich um. »Hier«, sagte er und hielt Colin einen weißen Briefumschlag unter die Nase. »Ist sogar parfümiert.«
    »Das ist nicht das Kabel«, stöhnte Colin.
    »Steht dein Name drauf.«
    Das stimmte. Und zwar sein bürgerlicher Name. Colin griff verärgert nach dem Umschlag. »Wo kommt der jetzt wieder her?«
    »Lag da«, sagte Tier und zeigte auf ein Sideboard. »War vorhin noch nicht da.«
    James kam hinzu, die Gitarre geschultert. »Vorhin? Wann, vorhin?«
    »Vorhin halt.«
    »Vorhin, bevor du durchgedreht bist?«
    »Bin nicht durchgedreht. Bin der Einzige hier, der nicht blind ist.«
    »Jungs«, sagte Colin, »das ist nicht lustig.« Er hielt ein gefaltetes Blatt Papier in die Höhe, das er im Umschlag gefunden hatte. Im gleichen Moment ging die Tür auf, und Blondy stand im Rahmen. Völlig außer Atem und mit roten Bäckchen.
    »Was …«, begann Colin.
    »Kabel«, sagte Tier und strahlte.
    Blondy hielt ihm das aufgerollte Kabel hin. »Ich hab schnell eins besorgt. Es passt doch in deine Süße, oder?«
    Tier nickte und streckte die Hand aus. Aber Blondy verbarg das Kabel hinter ihrem Rücken. »Das ist meins, verstehst du? Ich leihe es dir. Geh vernünftig damit um, sonst nehme ich es dir weg.«
    Tier erbleichte, kratzte sich die Haarpracht.
    »Blondy …«, setzte Colin an.
    »Lass mich. Ich weiß, was ich tue.« Blondy wandte sich wieder an Tier, immer noch schwer atmend. »Wie sagt man?«
    »Danke«, murmelte Tier. Daraufhin drückte Blondy ihm das Kabel in die Hand. »Der Gig kann stattfinden. Auf die Bühne mit euch!«
    »Bist du gerannt?«, fragte James.
    »Halt die Klappe und stimm deine Saiten«, sagte Blondy mit ausgesuchter Unfreundlichkeit.
    Es machte nicht den Anschein, als hätte ihr ihre Rettungsaktion besonders viel Spaß bereitet. »Was hast du da?«
    »Was?« Colin starrte Blondy an, noch ganz überwältigt von ihrer pragmatischen Lösung, auf die er selbst vermutlich in drei Leben nicht gekommen wäre. Dann erinnerte er sich an das Papier in seiner Hand. Langsam überreichte er es Blondy. »Da lag plötzlich ein Umschlag … und das war drin.«
    Blondy runzelte die Stirn, als sie das Blatt betrachtete.
    Es standen nur zwei Worte darauf:
    Letzte Warnung!
      
    Der Gig war eine Vision. Leider musste Colin im Nachhinein zugeben, dass er sich nicht an viel erinnerte. Ja, da war Musik gewesen. Jede Menge Musik. Musik, die direkt aus seiner Seele gekommen war. Aus tiefen Gefühlen hinaus ans Scheinwerferlicht.
    Da war Lärm gewesen. Jede Menge Lärm. Als würde mehr Energie durch Tiers neues Kabel passen, die die künstliche Seele seiner Süßen zu rhythmischen Explosionen konzentrierte.
    Da war der Applaus gewesen. Jede Menge Applaus. Applaus, der die Seelen der Fans mit jenen der Band verband.
    Da war die Erektion gewesen. Jede Menge Druck, der Colin permanent an Blondy denken ließ. Spontan widmete er ihr die letzte Zugabe. Improvisierte einen neuen Song,