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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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einzelnes Auto vorbei. Es beruhigt mich, dass da Menschen sind. Unter mir liegen die erschöpften Schwingen, zerzaust, schmutzig, und verwachsen langsam mit dem Boden. Über meinem Gesicht baumelt eine Dolde Vogelbeeren. Ich pflücke eines der roten Bällchen und taste mit der Zunge seine runzlig gewordene Oberfläche ab, den harten Blütenrest an seiner Unterseite, ein bisschen Gift schadet mir jetzt auch nicht mehr. Als mein Puls sich einigermaßen beruhigt hat, hieve ich mich in die Hocke. Die Schwingen bleiben am Boden liegen, abgelöst, welker Unrat.
    Durch die Blätter des Busches spähe ich in alle Richtungen. Keine Gorillas weit und breit. Ich überquere die dreispurige Fahrbahn. Von hier aus, überschlage ich, ist es ungefähr gleich weit zu dir wie zurück zu Blaum. Ich bleibe stehen. Wie ein dummer Esel zwischen zwei gleich großen Heuhaufen. Die Beere schlucke ich ungekaut. Ich will losrennen, aber ich weiß nicht wohin.
    Unter einer Straßenlaterne krame ich meinen Taschenspiegel heraus. Meine Hände zittern. Vom Handballen schmiert etwas Blut an meine Jacke. Vorsichtig bewege ich meine Finger, wie ich sie zum Gitarrenspielen bewegen müsste. Wird schon gehen, denke ich. Ich nehme den Spiegel hoch. Mitten in meiner Unterlippe klafft ein breiter Riss. Das daraus hervorgequollene Blut ist in einer seltsamen Knospe geronnen. Mein Kinn und mein Halstuch haben Flecken. Auch die Haut unter meiner linken Augenbraue sieht seltsam aus, unterlaufen, verdächtig dunkel im Vergleich zu meiner hellen Haut. Ich packe den Spiegel weg.
    Was wollten sie von mir. Ich glaube nicht, dass die zwei Gorillas mich ernsthaft verletzen wollten. Kein einziger Knochen ist gebrochen, nicht mal eine Rippe. Darauf hatten sie es nicht abgesehen. Ich blute hier und da. Werde die nächsten vier Wochen mit blauen Flecken herumlaufen. Aber alles hätte wesentlich schlimmer sein können, wenn die beiden es gewollt hätten. Da bin ich mir sicher. Hätten mir die Typen an die Wäsche gewollt, hätten sie nicht erst ihre Prügeltour durchgezogen. Hätten sie Geld gewollt, hätten sie nicht vom Ficken gefaselt. Angst wollten sie machen. Vielleicht sind die zwei Gorillas auf dem Misthaufen gewachsen, den Damla und ihre Paillettenfreundin hüten. Was für eine krasse Scheiße das wäre, denke ich, das Fickgericht, die Sittenpolizei.
    Dass sie mich bei Blaum abfingen und nicht vor deiner Wohnung. Bestimmt, denke ich, um das faule Ei nicht allzu offensichtlich zu legen. Offensichtlich für mich, aber sonst für keinen, vor allem nicht für dich. Ich starre auf die blauen Linien an der Innenseite meiner Arme. Für ein paar Sekunden werden sie weiß wie meine Haut. Dann kehrt das violette Blau zurück, stärker als vorher, und die Venen schwellen an. Mein Blut tut merkwürdige Dinge.
    Langsam beginnen auch meine Handgelenke, mein Kopf, meine Knie und andere Körperteile zu schmerzen. Ich werde den Dreck aus meinen Schürfwunden pflücken müssen, so wie ich aus Saskias Sohle die Glassplitter pflückte. Widerwillig trotte ich Richtung Goldlaube. Die gelegentlichen Autos, die mir vorher Gesellschaft und Trost gespendet hatten, kommen mir jetzt wie leere Raumkapseln vor. Mit toten Augen starren mich die Fahrer an, viele bemerken mich überhaupt nicht. Ihre Gesichtszüge sind schlaff, als würden sie alle noch schlafen. Einzig die Ampeln sind schon wach und schalten einsam von Rot auf Grün.
    Plötzlich huscht ein Fuchs über den vierspurigen Straßenbelag. Ich möchte ihm hinterherlaufen. Sehen, wo er haust. Schlafen, wo er schläft. Selber Fuchsfrau werden, in einer Bauruine, einem Schrebergarten oder irgendwo hinter einer Friedhofsmauer. Da würde ich mehr hingehören als irgendwo sonst, denke ich.
    Ich gehe weiter. Kamille und Mohn wächst aus den Ritzen der Stadt, die sich nicht zwischen Tag und Nacht entscheiden kann. Als Fuchsfee möchte ich leben, streunend, mich durchfressend, oben auf den Dächern, in den Salons und Wintergärten, und unten, in den vielen Bäuchen der Stadt. Aus denen schwappt das Rauschen der Züge und die Reste einer Musik, die bis tief in den Morgen hinein nicht verstummt. Dort unten haben sie sich abgeschottet, kein Licht dringt dort hinein, sie wissen nicht, wann es Tag wird. Oft taumeln die Nachtvögel erschrocken zurück, wenn sie die Clubs verlassen und das Morgenlicht in ihre Augen sticht.
    Ein alter Mann kommt mir entgegen. Mitleidig betrachtet er mein geschundenes Gesicht. Hinter ihm kommt ein Jagdhund angewetzt. Der

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