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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Hund dampft in der Morgenkühle. Im Vorbeitraben schnüffelt er nach meinen blutigen Händen.
    Die Goldlaube schläft noch. Niemand sieht mich, niemand stellt Fragen. Ich entferne die Steinchen aus meinen Schürfwunden, dusche, verbinde meine Handballen und eins meiner Knie. Ich beiße die Zähne zusammen. Jetzt, wo der Schock nachlässt, tut es erst richtig weh. Auf meinem Schreibtisch liegen noch zwei Dutzend pinkfarbener Freikarten. Mit zittrigen Fingern stecke ich zwei davon in einen Umschlag, adressiere ihn, Paradiesgasse.
    Ich richte die Fernbedienung auf die Stereoanlage. Ein paar einfache Riffs purzeln ins Zimmer, Akustikgitarre, sonst nichts, und der Sänger lässt sich Zeit. Ich lege mich flach auf den Boden. Beruhigt, dass er mich trägt und keins meiner Körperteile noch irgendwohin fallen könnte, genieße ich die Festigkeit, die Schlichtheit, die Härte der Holzdielen. Der Sänger beginnt von Lavendel, von verspäteten Zügen, von einem Glück aus Porzellan zu singen. Die Musik gewinnt an Fülle. Mir schießen Tränen in die Augen. Es hat nichts mit der Musik zu tun. Ich fließe einfach über. Die Tränen rinnen über meine Wangen, hinterlassen glänzende Streifen, rinnen mir ins Ohr. Auf meiner Zunge ballt sich ein salziges Schluchzen, ein lautloser Schrei. Schwappt über meine zersprungenen Lippen hinweg. Es klingt filmreif. Ihm folgen weitere. Es ist wie Sichübergeben. Bis ich leer bin. Es ist wie anrollende Wellen. Wie stürmischer Regen. Ich bleibe liegen und werde nass.

Nebelfelder
    Mein blaues Auge blüht wie schwarzer Mohn. Ich schminke meine Augen besonders dunkel, so dass es nicht auffällt. Genau genommen sieht das Hämatom wie ein Wasserfarbenfleck aus, beinahe harmlos, keine Schwellung, nur ein leichtes Blau unter der Haut, ein dunkles Lila, und die Ränder sind ein wenig grün.
    Der Bassmann hört die Geschichte von dem Überfall an, schüttelt den Kopf, will zur Polizei. Ich wimmle ab. Auch Blaum will seine Register ziehen, mich nach meinem nächsten Besuch wenigstens nach Hause zu fahren. Ich streite mich mit ihm.
    »Vergiss es. Lieber will ich zehnmal verprügelt werden als nicht mehr frei in der Stadt herumlaufen können. Kommt nicht in Frage.«
    Sein schwerer Ochsenkopf schnellt in die Höhe. Er rupft die Manschettenknöpfe, die er eben in seine Ärmel gefummelt hatte, wieder heraus und beginnt zu argumentieren. Ich lasse nicht locker. Irgendwann murmelt er nur noch. Murmelt irgendwas von Wildfang, Widerborst und Leichtsinn. Er senkt sein stoppeliges Kinn auf die Brust, lässt mich gewähren.
    Ich schlittere also weiter meiner Wege, spiele Rockstar, gebe Interviews für lokale Szeneblätter. Mache mit dem Bassmann drei neue Songs fertig, spiele bei einem Talentwettbewerb, solo, und gewinne. Schnorre Geld und Futterrationen von Borg. Besuche meine alte Französin und lasse mich zu grünem Pudding und komischen Kräuterschnäpsen überreden. Ich gehe alles etwas langsamer an als sonst und werde, zumindest für die nächsten anderthalb Wochen, nicht mehr verprügelt.
    Du rufst an. Damla habe sich bei dir ausgeheult. Dass sie sich bedrängt fühle.
    Für einen kurzen Augenblick will ich losfluchen. Den Telefonhörer an meiner Schreibtischkante zertrümmern. Fragen in die Welt schreien. Warum sie mir das nicht persönlich sagen kann, zum Beispiel. Stattdessen setze ich mich in den Clubsessel, gebe zu, dass ich übertrieben habe. Ich verspreche, Damla nicht mehr zu besuchen, ihr keine Freikarten mehr zu schicken.
    »Freikarten?«, fragst du. Offensichtlich hat Damla sie nicht erwähnt. Sie müssen vor vier Tagen in ihrem Briefkasten gewesen sein. Vermutlich hat sie die pinkfarbenen Papierstreifen kommentarlos weggeworfen.
    Zu meiner Überraschung findest du die Freikartenidee sogar gut. Wir kommen überein, dass ich dir die zwei Karten schicken soll und du sie Damla mit ein paar passenden Worten überreichen wirst. Dann könne sie ja immer noch entscheiden. Mir wird schlecht von der ganzen Kommunikation über Eck, aber ich packe sofort zwei neue Papierchen in ein Kuvert.
    »Wie geht es dir?«, fragst du endlich.
    »Ich wurde verprügelt.«
    »Was? Wieso?«
    Ich schildere dir alles. Ich zitiere auch, was der Schlägertyp sagte, bevor sein Kumpan begann, auf mich einzutreten. Deute an, dass ich niemanden kenne, der ein Interesse daran hätte, mir einen derartigen Schuss vor den Bug zu geben, außer vielleicht Damla. Für drei Sekunden ist es totenstill in der Leitung.
    »Jetzt drehst du

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