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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Viktoria fühlte sich ertappt, sie nickte nur.
    »Welcher?«, fragte Alex. »Hier in dieser Gegend gibt’s mindestens fünf davon.«
    »Bernhard Lütkehaus, der 1976 Schützenkönig geworden ist«, sagte sie. Und der mir in dem schlimmsten Albtraum meines Lebens erschienen ist, dachte sie.
    »1976. Da war ich noch ein Kind. Aber ich erinnere mich an einen Lütkehaus oder besser daran, was die Leute immer erzählt haben. Er soll ausgewandert sein. Nach Kanada oder Australien. Ich habe mir das wahrscheinlich nur gemerkt, weil das so spannend klang für einen Jungen wie mich, der immer gedacht hat, eigentlich ein Indianer zu sein. Das mit dem Auswandern muss aber ein paar Jahre nach dem Schützenfest gewesen sein, bei dem er König wurde. Ich kam da nämlich gerade aufs Gymnasium.«
    »Lebt er denn noch?«
    »Gute Frage, seit der weg ist, habe ich nie wieder was von ihm gehört. Ist ja jetzt schon ’ne Weile her. Vielleicht hat ihn längst ein Krokodil gefressen …« Oder er hat sich an einem Baum aufgeknüpft, dachte Viktoria.
    Vollbarts Blick fiel auf den Archivband. »Weshalb interessieren dich diese alten Geschichten?«
    Viktoria blinzelte ihm zu. »Privatsache!«
    Die Tür schwang auf, und ein atemloser Mario stand im Rahmen. »Was ist denn das schon wieder für eine Kacke hier bei euch? Hier ist ja Markt!«
    »Ja, hier ist Markt. Ein sehr schöner übrigens«, sagte Gregor freundlich.
    »Aber vorhin war da, wo jetzt ein Blumenstand steht, noch ein dicker, fetter Parkplatz. Und auf diesem dicken, fetten Parkplatz steht mein Wagen. Und da, wo vorhin noch ein dunkelgrüner Golf parkte, direkt neben meinem Wagen, stehen jetzt Sonnenblumen!«
    Den Anblick wollte sich keiner im Raum entgehen lassen. Alex, Gregor, Leggings-Lady und Viktoria marschierten an Mario vorbei durch die Tür und hatten fast Mühe, den im gelben Blütenmeer perfekt getarnten Barchetta zu entdecken. Viktoria kicherte, die Kollegen aus Telgte versuchten wenigstens noch, ernst zu bleiben.
    »Sei doch froh«, sagte Viktoria. »Wenigstens haben sie dich nicht abgeschleppt.«
    »Na super!« Mario war wütend und wollte damit offensichtlich nicht aufhören. »Zwei Stunden haben die hier jetzt noch mein Auto als Geisel, dann bauen sie bestimmt noch eine Stunde ihr Grünzeug ab, so wie ich das lahme Tempo hier kenne. Mir reicht’s. Ich such mir ’ne Kneipe.«
    »Mann, Mario! Reg dich nicht so auf! Außerdem müssen wir nachher noch …«
    »Ist mir im Moment scheißegal. Ich vertrinke jetzt das Geld, das ich gespart habe, weil die hier so nett sind und mich nicht abgeschleppt haben. Bis dann!« Mit wehendem Haar – Mario trug halblang – stapfte er quer über den Platz.
    Gregor lachte laut los. »Ist der immer so drauf?«
    »Fast immer, aber heute kriegt er es auch wirklich dicke«, sagte Viktoria und erzählte von der morgendlichen Matschattacke. Mario steuerte im Stechschritt auf die Kneipe an der Ecke neben der Schlachterei zu. Viktoria und die Reporter von den Telgter Nachrichten blickten ihm nach. Als die Tür hinter ihm zuschlug, verabschiedete sich Viktoria.
    Glatze und Vollbart nickten anerkennend.
    Es war genau zwölf. Die Sonne stand steil über dem Marktplatz, der einmal ein Parkplatz war. Es roch nach Backfisch, Viktorias Magen knurrte. Sie schlenderte über das Kopfsteinpflaster, Richtung Obst- und Gemüsehändler, fünfzehn Meter rechts vom Blumen-Barchetta-Stand. Ein Apfel musste für den ersten Hunger reichen. Sie legte der dicken Gemüsefrau zwanzig Cent in ihre rissigen Hände, und die bot ihr ein Schälmesser an, damit sie den »lecker Apfel« gleich essen konnte. Viktoria begann, die Schale in einem großen girlandenartigen Stück von der Frucht zu schälen. Nebenan am Wurststand bekam ein kleiner Junge in einem dieser Kinderwagen, die aussahen wie kleine Rennmaschinen, mit einem »Na, junger Mann, eine Kinderwurst?« eine eingerollte Scheibe Mortadella gereicht und biss hinein. Viktoria schaute sich um. Alte Fachwerkhäuschen rahmten den Marktplatz ein, von oben strahlten bunte Mittelaltergiebel herunter. Eine Frau stellte ihr geputztes Hollandrad vor einem alten Brunnen mit schmiedeeiserner Pumpe ab, ein kleiner Opa, der vorhin ein »Pfund Kartöffelken« gekauft hatte, packte es in einen Bollerwagen. Als Viktoria all das sah, dachte sie für eine Sekunde, gleich käme der Bulle von Tölz um die Ecke. Er würde ihr die Schulter tätscheln und sagen: »So, meine Liebe, sieht die heile Welt aus.« Der Duft des Apfels stieg in

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