Schützenkönig
ihre Nase, sie biss hinein, schloss die Augen, spürte die Sonne auf den Lidern – und wurde angerempelt. Die Remplerin hatte eine furchtbar blonde Dauerwelle und meckerte: »Können Sie nicht aufpassen?« Komisch, dass sie nicht berlinerte.
Viktoria blickte auf die Uhr und auf den Barchetta im Blumenmeer. Ob man hier shoppen konnte? Sie musste ja irgendwie die autolose Zeit überbrücken. Also ging sie Richtung Boutique Ariane, vielleicht wäre es ja nicht so schlimm dort, wie es der Name vermuten ließ. Als sie vor der Tür stand, wusste sie, dass es dahinter schlimmer war. Die Besitzerin des Ladens hieß wahrscheinlich tatsächlich Ariane und hatte eindeutig eine Vorliebe für Walle-Walle-Kleider und apricotfarbene Kostüme.
Viktoria schaute durchs Schaufenster und sah, dass eine schlanke Mittfünfzigerin gerade eines der Kostüme anprobierte. Es stand ihr sogar ganz gut. Die Verkäuferin klatschte in die Hände. Der eng geschnittene Rock ließ die Knie hervorblitzen, die Bluse versteckte das bisschen Bauchspeck. Viktoria drückte die Nase am Schaufenster platt. Sie konnte nicht wissen, dass die Kundin Elisabeth Upphoff hieß und der Grund war, weshalb sie hier war. Also ließ sie Boutique Ariane links liegen, blickte gelangweilt nach rechts und entdeckte ein Haushaltswarengeschäft. Viktoria steuerte auf die Glastür zu, die bimmelte, als sie eintrat. Viktoria kam sich vor, als hätte sie eine andere Zeitzone betreten. Es sah hier so aus wie in den Fünfzigerjahren oder so, wie sie sich diese Zeit vorstellte. Die ganze Wand hinter dem Verkaufstresen war voll kleiner Schubladen, in denen Schrauben, Nägel, Beschläge und Türklinken lagerten. Im Schaufenster und in den Regalen, die bis zur Decke reichten, stapelten sich Spargeltöpfe neben Plastiktraktoren neben Blumentöpfen neben Messbechern neben Biergläsern. Viktoria steuerte gerade auf einen Einkaufsbeutel mit schwarzem Schmetterlingsmuster zu, der aussah wie aus einem dieser kleinen Prenzlauer-Berg-Individualisten-Lädchen, als er plötzlich vor ihr stand: Kai, der Zapfanlagen-Installateur aus dem Gasthaus.
»Tach, Berlinerin! Na, Shopping-Tour?« In seiner Hand hielt er einen Schlauch und ein Teil, das wahrscheinlich ein Dichtungsring war. Er hatte ein olivgrünes T-Shirt an und eine weite verwaschene Jeans, die locker auf seinen Hüften hing. Seine Oberarme hatten – Viktoria konnte es ganz deutlich sehen – erkennbare Muskeln, und er lächelte tatsächlich wie eine sehr gute Zwei.
»Na, Westbeverner!« Sie zeigte auf den Schlauch in seiner Hand. »Gibt’s heute Abend endlich gezapftes Bier bei Harry?«
»Ich hoffe doch. Das Ganze ist aber nicht nur ein Schlauch-, sondern auch ein Druck- und ein Dichtungsproblem. Gar nicht so leicht, das Ding in Gang zu bringen.«
»Oje, dann ist mein Feierabendbier ja gar nicht sicher?«
»Nein, leider nicht. Aber ich hab gerade Mittagspause, wollen Sie nicht jetzt schon mal ein Gezapftes probieren? Da drüben ist ein netter Laden mit Biergarten.«
Viktoria schaute wieder auf ihre Uhr, anderthalb Stunden, bis der Markt zu Ende war und Marios Auto befreit werden konnte. Was konnte sie also die ganze Zeit sonst tun?
»Okay. Aber nur kurz. Ich bin übrigens Viktoria.«
»Kai«, sagte er knapp, gab ihr die Hand und schaute ihr direkt in die Augen. Sie senkte den Blick.
Im Biergarten vom Bäumken, so hieß die Gaststätte, war kaum was los. Von den zehn Tischen waren nur drei besetzt. An einem saßen zwei junge Mütter, die ihre Kinderwagen mit schlafendem Inhalt neben sich platziert hatten, am anderen ein Ehepaar, das von einer Radtour ausruhte, die Fahrräder lehnten am Gitterzaun, der den Garten abgrenzte. Viktoria und Kai setzten sich auf einfache Holzstühle, die im Schatten einer Kastanie standen. Kai bestellte zwei Pils. Die Bedienung, eine kleine gebückte Dame mit weißer Schürze, schaute betrübt: »Gerade ist das Fass leer. Aber das neue wird gerade angeschlossen, dauert nur ein paar Minuten.« Viktoria lächelte: »Macht nix. Ich nehme eine Cola light.«
»Dazu noch ’ne richtige Cola. Und die Karte.« Kai hielt Viktoria die geöffnete Marlboro-Packung hin. Sie schüttelte den Kopf. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief, lehnte sich zurück. Sie dachte gerade darüber nach, ob es eine noch prolligere Zigarettenmarke gäbe, da schaute sie der Marlboro-Mann neugierig an.
»Was ist?«, fragte sie. »Ist es hier so ungewöhnlich, wenn man nicht raucht?«
»Nö. Aber es ist
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