Schützenkönig
wäre der einzige Kandidat.«
»Ist das denn normal mit nur einem Kandidaten? Wollen denn nicht immer alle gewinnen?«, fragte Viktoria.
»Nö, das ist normal, junge Frau. Das ist viel zu teuer für viele. Und man geht ja auch ein paar Verpflichtungen ein, so als König. Meistens ist das vorher schon abgeklärt, und die Kameraden schießen dann ein bisschen daneben.«
»Und wie war das jetzt mit Ferdinand?«
»Na ja, der hat nicht daneben geschossen im letzten Jahr. Da dachte ich mir ja schon, oh, der will auch. Aber dass er sich die Sache so zu Herzen nimmt. Er hat fast geheult, als ich schließlich gewonnen hatte. Und jetzt noch das mit seiner Frau.«
»Elisabeth …«, ergänzte Viktoria, um ihn weiter zum Reden zu bringen.
»Ja, die Elli. War sonst immer ’ne ganz nette …«
»… und adrette …«, alberte Ludger.
Doch King Lui blieb ernst. »Wir sind natürlich alle davon ausgegangen, dass Ferdinand es in diesem Jahr wird. Er selbst wahrscheinlich auch. Und da wollte auf einmal seine Frau mitschießen und erzählt auch noch überall rum, dass sie Königin werden will.«
»Das ist hart.« Viktoria heuchelte Mitleid. »Warum hat sie das denn gemacht?«
»Wenn Sie mich fragen, sind das einfach ihre Wechseljahre. Sie wissen schon, die Hormone haben ihr Hirn ein bisschen aufgeweicht.«
Viktoria atmete tief durch. Bloß ruhig bleiben, dachte sie. »Und da ist nix anderes vorgefallen? Vielleicht war sie ja sauer auf Ferdinand. Oder sie wollte einfach die Gleichberechtigung nach Westbevern bringen.«
»Gleichberechtigung? Doch nicht Elli. Die ist ein richtiges Hausweib, glauben Sie mir. Die Wechseljahre sind’s, ganz bestimmt. Sonst wäre die auch nie so ausgerastet. Hormonschub! Schlimmer Hormonschub!«
Schöne Zitate für meinen Text, dachte Viktoria. Sie kritzelte King Luis richtigen Namen und sein Alter – Ludwig Bössing, vierundfünfzig – auf einen Bierdeckel und ließ ihn in ihre Tasche fallen.
Mario schaute auf die Uhr und erschrak richtiggehend. »Oh, Victory. Tut mir leid, wir müssen ja los. Ich geh nur noch mal kurz um die Ecke.« Er erhob sich und fiel beinahe um. Er konnte sich gerade noch am Tisch auffangen, wackelig ging er Richtung Toiletten.
Viktoria rutschte auf seinen Platz und saß so neben Alfred, dem ältesten der drei. Er war auch angetrunken, doch offensichtlich noch der vernünftigste von allen. »Sie kennen sich auch aus mit dem Schützenfest?«, fragte sie.
»Das tun in Westbevern irgendwie alle ein bisschen«, sagte er.
»Ich hab im Gasthaus König die Fotos von den Schützenkönigen gesehen, und da ist mir einer aufgefallen, den Sie vielleicht kennen könnten.« Ludger und King Lui diskutierten gerade über ihre Würfel-Würfe. Gut so, dachte Viktoria, muss ja nicht jeder mitkriegen, dass sie einem Phantom hinterherjagte.
Deshalb sprach sie leise und hoffte, dass Alfred nicht schwerhörig war.
»Ich habe das Bild von Bernhard Lütkehaus gesehen. Der ist 1976 König gewesen, und irgendwie erinnert er mich an jemanden.«
Alfred betrachtete Viktoria und nickte. »Ach, der schöne Bernie«, stieß er vielsagend aus. »Ich kann mir vorstellen, dass er Ihnen aufgefallen ist. Frauen in Ihrem Alter mochten ihn schon immer.«
»Er war ein Frauenheld?«
»Ein Frauentyp würde ich eher sagen«, erwiderte Alfred. »Er hatte etwas an sich, was einige Damen nervös machte. Selbst meine Luise, Gott hab sie selig, die war immer ganz hibbelig, wenn Bernie in der Nähe war. Sie dachte, ich merke das nicht.«
»Und, waren Sie eifersüchtig?«
»Klar, aber ich hätte nie was gesagt. Ich wusste ja, dass er diese Wirkung hatte.«
»Ja und jetzt?«
»Wie, und jetzt? Er ist weg, abgehauen mit einer schönen Ausländerin.«
»Ist er nicht nach Australien ausgewandert?«
»Ach, das erzählt Martha, seine Frau, überall. Die Schmach, wegen einer anderen verlassen worden zu sein, war ihr wohl zu groß.«
»Und was macht Martha jetzt?«
»Sie hockt verbittert in ihrem Haus und redet mit niemandem mehr. Kümmert sich nur noch um ihren Kräutergarten und sonst nix. Vielleicht haben Sie ihn gesehen, Sie sind doch mit dem Zug gekommen?«
»Wen gesehen?« Viktoria war geschockt. Meinte er etwa den Toten am Baum?
»Den Garten. Liegt direkt an den Gleisen.«
Sie räusperte sich: »Ach, sie wohnt direkt an den Bahngleisen?« Sie notierte: »Adresse rausfinden«, und der Kugelschreiber zitterte ein wenig. Es konnte ja auch Zufall sein, dass seine Frau am Bahndamm wohnte.
»Sind Sie
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