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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Nur, ob der Mann ausgewandert ist. Hat er sich hier abgemeldet?«
    Das junge Mädchen schaute in ihren Computer, dann über ihren Schreibtisch, und sie schwieg immer noch. Leise sagte sie: »Ich darf das nicht sagen.«
    Viktoria wiederholte – auch leise – die Frage: »Hat er sich hier vor dreißig Jahren abgemeldet?« Das Mädchen tippte fast lautlos auf der Tastatur. Ein Nicken war die Antwort.
    »Du bist echt total besoffen«, schimpfte Viktoria und bugsierte Mario ins Bett, nachdem er seinen Mund auf ihren Hals gepresst hatte.
    Ihn aus dem Auto zu hieven und dann die Treppen im Gasthaus hochzuschieben, war eine echte Tortur gewesen. Sie schwitzte in ihrem pinkfarbenen Pulli und verfluchte das Deo, das gerade den Kampf gegen Schweißgeruch und Pfützenbildung aufgab. Salzige Perlen hatten sich auf ihrer Oberlippe gebildet, als sie mit Mario Arm in Arm vor seinem Zimmer gestanden hatte. Aber dass er jetzt an ihr rumzerrte und versuchte, sie zu küssen, war wirklich das Allerletzte.

6. Kapitel
     
    »Einfach der Straße vor unserem Eingang nach rechts folgen, ungefähr fünfhundert Meter. Dann sehen Sie eine große Wiese, meistens sind da Pferde. Hinter der Wiese rechts auf den Feldweg, nach etwa zweihundert Metern wieder links und bei dem Jesus-Kreuz ist dann schon die Einfahrt«, beschrieb Harry ihr den Weg.
    Sie war froh, dass er nicht fragte, warum sie zu Martha Lütkehaus wollte. Sie wusste es ja selbst nicht genau.
    Okay, sie hatte einen Albtraum im Zug gehabt und abends ein Déjà-vu im Treppenhaus. Die Ähnlichkeit zwischen dem Erhängten aus ihrem Traum und dem Foto vom Schützenkönig 1976 war sicher nur Einbildung. Dass Bernhard Lütkehaus vor etwa dreißig Jahren unter rätselhaften Umständen verschwand – war reiner Zufall.
    Doch eines ließ ihr keine Ruhe: Warum hatten die Kollegen von den Telgter Nachrichten von Auswandern nach Australien gesprochen, Alfred aber hatte gesagt, Bernhard sei mit einer schönen Frau durchgebrannt? Dass er sich bei der Meldebehörde abgemeldet hatte, passte auf beide Theorien. Beruhigend, dass sie mit ihrem Traum also komplett danebenlag. Nix mit Lynchmord durch Aufknüpfen oder einem Selbstmord durch Erhängen.
    So wie es aussah, hatte der charmante, allseits beliebte Bernhard auch gar keinen Grund gehabt, sich umzubringen. Und wie es aussah, hatten hier in diesem Kaff entweder alle keine Ahnung oder sie wollten sie einfach nur mal ordentlich hochnehmen.
    Sie wählte die Nummer von Charly Berendsen. Das dunkelgrüne Telefon in der Kneipe sah aus wie aus einem alten Sketch mit Harald Juhnke und Grit Böttcher. Ein Freizeichen, dann hörte sie seine knochentrockene Stimme.
    »Berendsen, Berliner Express .«
    »Ich bin’s.«
    »Hey, Victory. Na, wie sind die Ferien auf dem Land?«
    »Beschissene Kuhscheiße.«
    »Ha, war ja klar.«
    »Und?«
    »Du willst wissen, ob ich was über diesen Schützenkönig herausgefunden hab?«
    »Yes!«
    »Was krieg ich denn dafür?«
    »’nen Tritt in den Arsch?« Victoria liebte es, mit Charly zu telefonieren.
    »Aber bitte nur mit den spitzen Stiefeln, Baby.«
    »Nun sag schon, du Spinner.«
    »Also …« Er ließ sie warten. Viktoria hörte, wie er inhalierte, und hatte das Gefühl, den Rauch seiner Zigarette durch den Hörer zu riechen.
    »Also, ich habe ihn gefunden, deinen Herrn Lütkehaus.«
    »Mach schon, du Folterknecht.«
    »War gar nicht so leicht, ist ja ’ne olle Geschichte.«
    »Ich weiß, deshalb habe ich dich ja auch gefragt.«
    »Okay – und ich sage dir: Der Typ hat sich aufgelöst.«
    »Hä?«
    »Dein Bernhard Lütkehaus hat sich in seinem Wohnort abgemeldet.«
    Weiß ich doch, dachte Viktoria, sagte es aber nicht.
    »Und dann isser weg.« Charly genoss es, ihr die Neuigkeiten zu präsentieren.
    »Er ist tot?«
    »Keine Ahnung, Süße. Aber er hat sich am 14. Juli 1980 ordnungsgemäß in Westbevern abgemeldet.«
    »Wo hat er danach gewohnt?«
    »Nirgends.«
    »Wie, nirgends?«
    »Der ordentliche Herr hat sich zwar ab-, aber nirgends wieder angemeldet.«
    »Aha.«
    »Alles klar, Victory?«
    »Klar.«
    »Na, dann polier mal deine spitzen Stiefelchen.«
    »Mach ich. Danke, Charly. Kannste dem Chef gegenüber nix davon erzählen?«
    »Yes.«
    Viktoria legte auf. Ratlos, sprachlos.
    Vier Zahlen. So eine kurze Telefonnummer hatte Viktoria noch nie gewählt. Doch so stand es im Telefonbuch neben dem Grit-Böttcher-Telefon, das gerade mal so dick war wie die Speisekarte vom Schwarzen Raben. Upphoff, Ferdinand und

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