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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Begrüßung. Aber es wurde noch schlimmer: »Puh! Ist es heiß hier drin.« Mein Gott, Victory!, dachte sie. Jetzt war sie auch noch Meisterin des schlichtesten Small Talks. Seit wann benutzte sie außerdem so seltsame Worte wie »Puh«?! Gab es nicht einmal einen Bären, der so hieß? Puh, der Bär. Er war gierig nach Honig, steckte seinen Kopf deshalb in einen Bienenstock, blieb stecken und die Bienen zerstachen ihm seinen pelzigen Hintern. Auch Viktoria blieb stecken. Ihr fiel nichts Besseres ein als ein peinliches: »Auch hier?«
    Kai tat das einzig Richtige und beantwortete ihre Frage einfach nicht. »Soll ich dir hier draußen mal alles zeigen?«, fragte er stattdessen.
    »O ja. Danke, das ist nett.« Sie riss sich zusammen, lächelte charmant – wenigstens das hatte sie drauf – und folgte dem klugen Kai. Mario nickte ihnen zu, als sie an ihm vorbeikamen. Er überredete gerade einen besonders kleinen Schützenbruder mit einer besonders großnasigen Frau, für ein Foto zu posieren. Die Frau strich ihrem Mini-Mann den Scheitel glatt, sie selbst zupfte an ihrer hellblauen Jacke – dann blickten sie ernst in die Kamera. Dem Chef wird’s gefallen, dachte Viktoria. Er wird über die beiden lachen.
    »Da vorn geht’s lang.« Kai zeigte auf einen schmalen Weg mitten in den kleinen Wald hinter dem Zelt. Er ging voraus. Sie folgte der ausgewaschenen Jeans und fragte sich, welche Marke das wohl sei. Sobald sie die Bäume erreicht hatten, wurde es deutlich kühler und dunkler. Vor ihnen hielt eine Frau ihren Sohn an der Hand, der noch nicht richtig laufen konnte, hinter ihr trödelte die Tochter, die aussah, als ginge sie schon in die Schule. Kai und Viktoria mussten langsamer gehen. Die Frau ist so alt wie ich, schoss es Viktoria durch den Kopf. Unvorstellbar! Sie fühlte sich mindestens zwanzig Jahre jünger – oder älter? Ihr Leben war so weit weg von Kindern, von Familie, von dem Leben, das diese Frau hier lebte. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie sie verstand, als sie sich umdrehte, seufzte und sagte: »Tut mir leid, kleine Staufalle hier.«
    Viktoria lächelte. »Kein Problem.« Anscheinend kamen sie doch nicht von verschiedenen Sternen, sie sprachen beide dieselbe Sprache.
    »Hast du auch Kinder?«
    »Was?!« Sie konnte nicht fassen, was Kai sie da gefragt hatte. »Natürlich nicht!«
    »Wieso, hätte doch sein können.«
    »Nee, ganz bestimmt nicht. Nicht bei meinem Leben.« Was für ein beschissenes Thema, dachte sie.
    Kai fand es offensichtlich interessant: »Dein Leben – ist das denn so viel anders als alle anderen Leben?« Ihr gefiel ganz und gar nicht, wie sich diese Unterhaltung entwickelte.
    »Ist das da drüben das Feuer?« Besser eine blöde Frage, als weiter mit dem Dorfschönling über Kinder zu diskutieren, dachte sie.
    »Ja, das ist das Feuer.« Kai grinste. Er hatte ihr billiges Ablenkungsmanöver durchschaut, aber er fragte nicht weiter. Ein paar Dutzend Menschen hatten sich um das Feuer gestellt, es knisterte und roch wie im Ferienlager. Viktoria blieb stehen. Kai schob sie weiter. Er zeigte auf einen kleinen Pfad und sagte. »Das musst du mal sehen, ist echt schön.«
    Er ging wieder vor, sie folgte ihm und seiner tatsächlich überdurchschnittlich gut sitzenden Levi’s. Gut, dass sie auch ihre lange Hose anhatte. Sie erkannte Brennnesseln und stachelige Himbeerbüsche. Der Weg schlängelte sich erst rechts, dann links herum, ging ein paar Meter aufwärts, dann wieder abwärts, und plötzlich befanden sie sich auf hellem Sand. Ein paar Meter unter ihnen floss die Ems in einer großen Schleife. Der Strand, auf dem sie standen, war etwa fünfundfünfzig Schritte breit. Er fiel steil ab. Zehn Schritte, und man steht im Wasser, schätzte sie. Dann hörte sie auf zu zählen und schaute.
    »Schön«, sagte sie und meinte es auch so. Es war schön hier. Wunderschön. Auf der anderen Uferseite watschelten ein paar Enten zur sattgrünen Wiese, um sich dort schlafen zu legen. Knorrige, uralte Apfelbäume reckten ihre bizarren Äste in alle Richtungen, unendlich viele Pusteblumen-Samen schwebten – angeleuchtet von der untergehenden Sonne – in den Himmel. Viktoria atmete tief ein und wieder aus. Sie blinzelte, Tränen stiegen auf. »Scheißheuschnupfen!«, fluchte sie. Kai sagte nichts.
    Ein paar stille Minuten später drehten sie um.
    Das Feuer leuchtete inzwischen orangefarben und warf zuckende Schatten in die Gesichter der Leute. Jugendliche stocherten mit Stöcken in der Glut,

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