Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
ungesunde Höhen. Was mir schon wieder alles kirchliches durch den
Kopf schießt, auf diesem wundersamen Weg, wird mir selber so langsam zu viel.
Normaler Weise kann ich meine Gedanken weitgehend kontrollieren oder umlenken,
auf andere Dinge. Aber hier, mit diesem riesengroßen Kloster vor meinen Augen,
ist dieses Thema so präsent, dass es kaum zu bezwingen ist.
Deshalb packe ich meine sieben Sachen zusammen und suche mir
eine andere Aussicht. Mit Blick auf den Wald und der Wiederherstellung meiner
inneren Harmonie, labe ich mich an den Köstlichkeiten, bis ich satt bin.
Den Rest meines Picknicks überlasse ich den Tieren und
verstaue die Nahrungsmittel sorgsam hinter einem Gebüsch. Den Abfall inklusive
der fast vollen Flasche Wein, werfe ich in den Müll und begebe mich zurück in
den Kühlsaal.
Während ich mein Notizbüchlein aus dem Rucksack gruschtele
beobachte ich eine Amerikanerin am anderen Ende des Schlafsaales. Sie ist laut,
präsent und nervt mich auf den ersten Blick. Sie erzählt einem anderen Pilger
irgendwas von Rom und Jerusalem und hat es ganz wichtig.
Das Refugio füllt sich, das Duschwasser ist inzwischen kalt,
das Klopapier aufgebraucht, an den drei vorhandenen Steckdosen bilden sich
lange Schlangen von Handys, die aufgeladen werden wollen… genügend Gründe, um
wieder schleunigst nach draußen zu verschwinden.
Auf der Brücke über dem Fluß setze ich mich auf eine
Parkbank und versende den aktuellen Pilgerbericht per Sms an meine Freundinnen.
Die Mädles sollen auch was von meinen Abenteuern auf dem Jakobsweg abbekommen.
„Meine Liebe, lass deine Kinder Sprachen lernen. Die Welt
ist so bunt und wunderschön! Mit einer Auswahl an Sprachen kannst du dich mit
allen Menschen verständigen und viel von ihnen lernen. Bin heute in einem
kleinen Dorf gelandet und schlafe in einem riesigen Kloster. Kalt ist es dort
und dreckig. Aber davor gab es einen traumhaften Wald mit Aragon und dem
Elfenkönig. Schöne Grüße aus Mittelerde, Rosa“
Dann wird es Zeit für den Klosterrundgang. Eine weltliche,
junge Frau übernimmt die Führung. Sie spricht nur spanisch und erzählt sehr
interessante Dinge über die Geschichte dieses Klosters.
Nichtsdestotrotz gefällt es mir hier nicht. Es ist alles so
„modern“ renoviert. Kalt und steril, ohne Atmosphäre. Es gibt zwar einen neuen
Putz an den Wänden, aber irgendwie riecht es trotzdem nach Krankheit, Tod und
großem Leid.
Ich breche die Führung ab und schleiche mich nach draußen.
Meine Bleistiftminen sind leer und nun muss ich mir einen neuen Bleistift
kaufen. Minen wird es hier vermutlich keine geben.
Am Ende des Dorfes gibt es einen Kiosk und darauf bewege ich
mich jetzt zu. Weil die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, zeige ich ihr
meinen Bleistift und frage vorsichtshalber mal nach, ob sie solche
Bleistiftminen hat. Zu meiner großen Überraschung haben sie sogar exakt die
Bleistiftminen, die ich brauche. Jetzt bin ich platt! In diesem, von Gott
verlassenen, Klosterkaff gibt es Minen für meinen Bleistift? Das hätte ich ja
im Leben nie erwartet und freue mich sehr darüber.
Um 22.00 Uhr schließen die Pforten des Klosters. Wer zu
spät kommt, darf draußen schlafen. Da ich dies nicht vorhabe, aber auch keine
Minute zu viel in diesem Loch verbringen möchte, beschließe ich, mich auf die
Terrasse des Restaurants schräg gegenüber zu setzen. Von dort aus kann ich das
Klostertor prima einsehen und mit etwas Wachsamkeit schlüpfe ich dann einfach
als letzte hinein. Unter diesen Umständen brauche ich nämlich dringend noch ein
Glas Wein, sonst sehe ich meinen Nachtschlaf in akuter Gefahr. Bei so vielen
Schnarchern in einem Schlafsaal, werden Ohropax und ein paar sehr müde Füße
nicht ausreichen, um an einen erholsamen Schlaf zu gelangen.
Sowie ich die Terrasse des Restaurants betrete, winken mir
drei Männer zu, ich solle mich zu ihnen setzen. An ihrem Tisch sitzt ebenfalls
die Amerikanerin von vorhin. So ganz langsam beginnt es in meinem Hirn zu
dämmern. Habe ich nicht gerade eben noch über diese Amerikanerin gelästert? So
innerlich für mich selbst? Sie verurteilt, obwohl ich sie überhaupt nicht
kenne? Weiter denke ich noch nicht und setze mich zu den Pilgern an den Tisch.
Die Herren kommen aus Brasilien. Jing ist der attraktive
23-jährige Sohn von Juan, und Karl ein sehr enger Freund von Juan. Die
Amerikanerin heißt Heather und ist Anfang 30.
Nun sitzen fünf Personen aus drei Kontinenten an einem
Tisch. Heather spricht
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