Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
diese Herberge
sieht sogar sehr einladend aus. Aber nein, es treibt mich weiter.
Offensichtlich ist es noch nicht die Zeit, um zu bremsen.
Kurz nach dieser Herberge kommt eine kleine Kapelle. Die Tür
ist offen und ich gehe hinein.
Es ist eine sehr kleine Kapelle, nicht größer als eine
Besenkammer. Auf dem Altar liegen allerlei Dinge herum. Leere
Zigarettenschachteln, Karten, Fotos, Briefe… Ich nehme einen Zettel in die Hand
und lese:
„Warum nur quäle ich mich mit diesem Mann? Er erniedrigt
mich und ich lasse es zu. Hilf mir bitte, ihn loszulassen.“ In einem anderen
Brief steht: „Lieber Gott, bitte nimm meinen lieben Sohn in dein himmlisches
Reich auf. Amen.“ Viele Zettel und Briefe in allen Sprachen liegen hier auf dem
kleinen Altar. Sonnenbrillen, Armbänder, leere Zigarettenschachteln, Fotos,
Heiligenbildchen und verschwitzte Halstücher liegen dazwischen.
Ich bemerke die Frau erst nicht, die kurz nach mir in die
Kapelle tritt. Sie hebt einen Schnuller vom Altar und sagt:
„Was die Leute hier so alles wegwerfen…“
In diesem Moment erkenne ich sie: die Oberchristin! Das muss
sie sein. Sie spricht mich sofort an und schwallt mich voll. Ich tu mal so als
würde ich kein Deutsch verstehen, was die Dame aber nicht zu interessieren
scheint. Sie redet munter weiter und beschreibt die ganzen Dinge, die sonst
noch so auf diesem Altar im Halbdunkel herumliegen. Dabei beendet sie jeden
Satz mit: „Siehst du?“
Mit meiner neu gewonnenen Erkenntnis, dass mir die Menschen,
die ich vorschnell verurteile, immer wieder begegnen, will ich mal nicht so
ganz unhöflich sein. Innerlich ist mir schon klar, dass das nicht funktionieren
wird, denn eigentlich habe ich mein Urteil schon lange gefällt und versuche es
gerade rosa anzustreichen, aber die Hoffnung, dass eine weitere Begegnung flach
fällt, weil ich jetzt freundlich bin, brauche ich ja noch nicht aufzugeben.
Ich nicke ein paar Mal und mache mit ihrem Fotoapparat ein
Foto von ihr und der Kapelle. Als allein Pilgernde hat man in der Tat viele
Fotos von der Landschaft, den Gebäuden und anderen Pilgern, aber sehr wenige
von sich selbst.
Um ein Foto zu schießen, braucht man nicht sehr lange und
trotzdem ist es erstaunlich, wie viel Gesprächsstoff sie in diese wenigen
Minuten packt. Sie scheint jedem dieselbe Geschichte zu erzählen, denn das, was
sie mir berichtet, kenne ich schon von Hilde und dem Nachbartisch aus der Bar
von heute Mittag.
Spätestens morgen hab ich sie an meiner Seite. Das ist mir
jetzt schon klar. Es wird sehr lange dauern, bis ich an ihr etwas Liebenswertes
finde. Oh weia, nur ganz schnell schauen, dass ich weiter komme.
Der Weg beginnt absurd zu werden. Zuerst fließt ein Bach den
Berg hinunter. Der Bach ist der Weg. In der Mitte gibt es größere Steine, auf
denen man trockenen Fußes hoch kommt. Dazu braucht man aber einen ausgesprochen
guten Gleichgewichtssinn, den ich einem müden Pilger, mit schwerem Rucksack und
reich an Jahren, nicht unbedingt zutraue. Meine Schuhe sind jedenfalls
wasserdicht und ich schaffe es unverletzt nach oben.
Dann wird der Camino wegen Bauarbeiten umgeleitet und geht
durch knietiefen Matsch. Ehrlich: KNIEtief! Mit etwas Gleichgewichtsgefühl und
Glück, kann man von einem Stein zum anderen hüpfen und kommt so irgendwie
voran. Hier regnet es ja hoffentlich nicht immer. Die Matschpampe wird das
Resultat der vorletzten, regenreichen Woche sein und der vielen Pilger, die
diese aufgeweichte Erde mit ihren Wanderschuhen durchpflügt haben.
Ein junger Mann steckt mit seinem Fahrrad bis zur Nabe im
Matsch und bekommt es alleine nicht mehr heraus. Ich schnalle meinen Rucksack
ab und helfe ihm dabei. Dann muss der arme Kerl sein Fahrrad mitsamt Gepäck
durch diesen Morast tragen.
Ich denke an die Superchristin hinter mir und wie sie wohl
dadurch kommt. Sie ist ja nicht mehr die Jüngste.
Trotzdem scheine ich auf diesem Weg irgendetwas richtig zu
machen. Kurz nachdem der Weg wieder besser wird, kommt ein Haus ohne Dach. Die
Wände sind mit Baumstämmen gestützt und ein stinkendes, morastiges Irgendwas
fließt mitten hindurch. Im weniger baufälligen Teil dieses Hauses gibt es eine
Bar.
Ich fragte die Pilger, die vor der Türe sitzen, „Wie weit
wollt ihr denn heute noch gehen?“
„Gar nicht mehr. Wir sind hier abgestiegen.“
„Hier?“, ich bin entsetzt, „das Haus hat kein Dach und ist
kaputt!“
„Ja, aber es gibt ein Matratzenlager. Dort hinten“ Die
beiden scheinen sich vor nichts zu
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