Schuld währt ewig
Bank und verließ die Kirche. Als er auf dem Weg zurück ins Präsidium die Fünf Höfe passierte, klingelte das Handy. Alois meldete sich. Im Hintergrund war der Geräuschpegel eines Lokals zu hören. Geschirrklappern, Gesprächsfetzen. »Du suchst doch nach einem, der durch einen Unfall einen geliebten Menschen verloren hat.«
Diese Worte holten Dühnfort vollends zurück in die Gegenwart. Plötzlich war er hellwach. »Ja?«
»Schülke.« Alois berichtete, was er über ihn und den Tod seines Bruders in Erfahrung gebracht hatte, und dass es aus Sicht der Eltern keine Gerechtigkeit gegeben hatte. Wie Schülke das sah, konnte man ihn ja mal fragen und auch, ob er ein Alibi für den Mordfall Hasler hatte.
»Prima Arbeit, Alois. Wirklich. Du machst dich. Mit Schülke würde ich gerne selbst reden. Ist das ein Problem?«
»Passt schon.«
»Gut. Dann knöpfe ich mir den jetzt vor.« Dühnfort betrat die Fünf Höfe, diese Einkaufsmeile für die besser verdienenden Münchner, und suchte nach einem ruhigeren Platz zum Telefonieren. Den fand er vor einer Galerie. Offenbar wollte niemand Gemälde zu Weihnachten verschenken. Er rief im Gericht an und erfuhr, dass der Richter zu Mittag außer Haus war. Dühnfort wählte die Handynummer und hatte mehr Glück. Schülke war bereit, sich mit Dühnfort zu einem Gespräch zu treffen, und gab auch Ort und Zeitpunkt vor. »Beim Oberpollinger. Oben im Restaurant. In fünfzehn Minuten.«
Dühnfort mied die überfüllte Fußgängerzone und betrat das Kaufhaus durch den Eingang an der Maxburgstraße.
Glänzende Steinböden, große Glasflächen, helles Licht und weite Räume. Alles in allem ein luxuriöses Ambiente. Mit dem Lift fuhr Dühnfort in die fünfte Etage und erreichte das LeBuffet, ein Selbstbedienungsrestaurant. Er hielt nach Schülke Ausschau und entdeckte ihn an einem Tisch vor der Glasfront zur Dachterrasse.
Mehrere Einkaufstüten standen auf dem Stuhl neben ihm und unter dem Tisch, vor ihm ein Teller mit den Resten von Kotelett und Kartoffelsalat. So wie es aussah, hatte der Richter Weihnachtseinkäufe gemacht. Als Dühnfort an den Tisch trat, sah er auf. Ein unverbindlicher Blick über die randlose Brille. Sie begrüßten sich. Dühnfort legte den Mantel über die Stuhllehne und setzte sich.
»Keine schöne Sache, die Ihnen da auf dem Friedhof widerfahren ist«, meinte Schülke und tupfte sich die Lippen mit einer Papierserviette ab.
»So etwas lässt sich nie restlos ausschließen. Gut, dass ich fähige Kollegen habe.«
»Das war ja ein preiswürdiger Schuss. Einfach phänomenal. Bei dieser Sicht und Distanz. Eines ist mir allerdings nicht klar. Weshalb war Ihr Mitarbeiter überhaupt auf dem Friedhof?«
»Er war auf dem Weg zu mir. Es gab etwas zu besprechen.«
»Und zufällig wählt er denselben Umweg wie Sie über den Friedhof?«
»Glück gehabt«, erwiderte Dühnfort.
Schülke schob den Teller beiseite. »Also, worum geht es?«
»Es gibt einen dritten Mord. Margarethe Hasler. Sie haben davon gehört?«
»Natürlich.«
»Wir haben es mit einem Täter zu tun, der nicht an unser Rechtssystem glaubt. Er nimmt das Recht, besser gesagt das, was er dafür hält, selbst in die Hand. Er tötet Menschen, die seiner Meinung nach nicht bestraft wurden, obwohl sie bestraft gehörten. Und beim Strafmaß geht er weit über das hinaus, was der vermeintlich Schuldige bei einem Prozess zu erwarten gehabt hätte. Wir fragen uns, was kann das Motiv für diese Taten sein?«
»Und deshalb wollen Sie mich sprechen?« Schülke lehnte sich im Stuhl zurück. Eine Restaurantmitarbeiterin, die Tabletts abräumte, warf einen kurzen Blick auf den Tisch und ging weiter. Eine junge Frau bugsierte einen Kinderwagen zwischen den Reihen hindurch und setzte sich an den Nebentisch, an dem zwei ältere Damen in ein Gespräch vertieft waren. Dühnfort wartete auf eine Reaktion. Er sah, dass in Schülke etwas arbeitete.
»Kalt«, sagte er schließlich und beugte sich vor. »Ganz kalt. Aber eines muss man Ihnen lassen: Den Ruf, gründlich zu arbeiten, haben Sie nicht umsonst. Respekt.« Er straffte die Schultern und legte die Arme auf den Tisch.
Dühnfort schwieg. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass dieses Schweigen in der Regel den Redefluss des Gesprächspartners förderte. Offenbar hatte Schülke erkannt, worüber Dühnfort nachdachte. Mal sehen, was noch kam.
»Sie sind tatsächlich in die Archive gestiegen und haben diese alte Geschichte zutage gefördert.«
»Nicht ich. Ein
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