Schuld währt ewig
zum Bäcker? Alleine, meine ich.«
»Kein guter Plan. Ich werde Sie begleiten.«
Sanne seufzte. Wie lange sollte das noch dauern? Sie musste arbeiten, und dafür brauchte sie Ruhe.
Sie nahm die Jacke vom Haken und ging zum Bäcker. Hartung im Gleichschritt neben ihr, die Waffe unter der offenen Lederjacke für jedermann sichtbar. Genug Stoff für einen dreiwöchigen Dorfklatsch.
Gestern um diese Zeit hatte sie bei Vincent Becker die Wahrheit über Ludwigs Unfall erfahren. Seither fühlte sie sich erleichtert und vor allem frei. Die Zeit der Unsicherheit und Zweifel war vorüber. Das Einzige, woran sie im Moment zweifelte, war ihre Menschenkenntnis.
Sie schob die Ungeheuerlichkeit beiseite, dass Evelyn sie überwacht hatte, und unterdrückte den Gedanken an Thorstens Rache. Es tat weh. Was er getan hatte, war weder zu rechtfertigen noch zu verzeihen. Er hatte sie manipuliert, um sie zu zerstören. Unbändiger Hass verbarg sich darin. Und das erschreckte Sanne.
Als sie die Bäckerei erreichten, warf Hartung erst einen Blick durch die Scheiben und hielt ihr dann die Tür auf.
Mit zwei Tüten voller Semmeln und Brezen traten sie fünf Minuten später wieder ins Freie. Während sie auf den Weg zum Häuschen einbogen, klingelte Hartungs Handy. Das Gespräch dauerte nicht lang. »Gut. Dann packen wir zusammen.« Er legte auf und lächelte Sanne an. »Das war der Staatsanwalt. Die Kollegen haben ihn. Also den Mann, der es auf Sie abgesehen hatte. Wir rücken ab.«
Sanne war erleichtert. Und natürlich auch neugierig. Wer hatte ihr die Postkarte geschickt? Wer hatte sie mit seinem Schweigen am Telefon eingeschüchtert? Wer hatte Herrn Kater das Genick gebrochen, um ihr Angst zu machen?
Doch Hartung wusste es nicht. Er breitete die Hände aus. »Keine Ahnung. Ich denke, der zuständige Ermittler wird Sie informieren.« Er klopfte an das Seitenfenster des Lieferwagens, den sie mittlerweile erreicht hatten. Die Scheibe wurde heruntergelassen. »Einsatz beendet.«
Hartung holte seine Sachen aus dem Haus und gab Sanne zum Abschied die Hand. »Machen Sie es gut.« Sie drückte ihm eine der Semmeltüten in die Hand, sah dem Wagen nach und schloss die Tür, als er um die Ecke verschwand.
Und nun? Sie machte sich eine Tasse Tee und aß eine trockene Breze dazu. Die Stille im Haus, die sie bisher gesucht hatte, wirkte plötzlich schwer und lastend. Herr Kater fehlte ihr so.
Niklas hatte ihn gestern in seinem Garten beigesetzt und sogar ein kleines Holzkreuz auf das Grab gelegt. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, die Wahrheit nicht zu kennen und zu glauben, Herr Kater sei treulos von dannen gezogen.
Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte, ging sie in die Werkstatt und begann mit ihrer Arbeit. Es fing wieder an zu regnen. Graue Schleier hingen über dem Garten, dem umgepflügten Feld, ließen den Wald verschwimmen. Irgendwann wurde die Stille unerträglich. Sanne stand auf, um das Radio aus der Küche zu holen. Im selben Moment klingelte es an der Haustür.
76
Das Telefonat mit Oberhausners Witwe war schwierig, um nicht zu sagen unmöglich. Die alte Frau war derart schwerhörig, dass Dühnfort es nicht schaffte, ihr verständlich zu machen, was er wollte. Er kündigte seinen Besuch an, war sich aber nicht sicher, ob sie das verstanden hatte, und schlüpfte in den Mantel, um sich auf den Weg nach Zorneding zu machen.
In den Regen mischte sich Graupel. Die Isar floss träggrau Richtung Norden. Durch ein Loch in der Wolkendecke drang für einen Augenblick die Sonne und brachte die Goldauflage des Friedensengels zum Leuchten. Auf der Autobahn herrschte dichter Verkehr. Vor dem Ostkreuz gab es einen Stau. Am späten Vormittag erreichte Dühnfort Zorneding und klingelte an der Tür eines Siedlungshäuschens, das inmitten eines verwilderten Gartens stand. Die Glocke war derart schrill und laut, dass Dühnfort zusammenschrak.
Schwere Schritte erklangen. Die Tür wurde geöffnet. Vor ihm stand ein Mann in mittleren Jahren. Er trug eine blaue Latzhose, kariertes Hemd und darüber eine graue Fleecejacke. Das Haar war schütter, das Gesicht wettergegerbt.
Dühnfort stellte sich vor. »Ich würde gerne Frau Oberhausner sprechen.«
»Was hat denn meine Mutter mit der Polizei zu schaffen?«
»Es geht um Arno Rodewald.«
»Ja und? Was is’ mit dem?«
»War er in letzter Zeit mal hier?«
»Der Arno? Hier?« Oberhausners Kinn stieg in die Höhe. »Sie meinen, ob er zur Beerdigung von meinem Vater gekommen ist? Er nicht.
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