Schuld währt ewig
gegenüber. Eine Bank stand am Rande eines flachen Beckens, das im Sommer sicher mit Wasser gefüllt war. Der Wind trieb trocknes Laub darin zusammen. Wirbelnd sammelte es sich in einer Ecke, knisterte, raschelte, tat geheimnisvoll.
Die Kälte des Holzes drang durch den Mantel, als er sich setzte. Diese Kälte. Noch Monate würde sie München im Griff haben. Vielleicht sollte er sich einen Stock kaufen, auf den er sich stützen konnte, wie ein alter Mann. Dabei war er noch keine sechzig, sah passabel aus und erhoffte sich noch etwas vom Leben.
Seufzend verlagerte er das Gewicht und verschaffte sich so für einen Moment Erleichterung.
Schritte näherten sich. Eilig stöckelte eine Frau im Schein der Straßenbeleuchtung vorbei. Die Handtasche unter den Arm geklemmt, den Mantelkragen hochgeschlagen. Was sie wohl denken würde, wenn sie ihn hier sah? Ein Perverser, der Kindern auflauert. Oder: Ein alter Knacker, der verschnauft. Ich sollte gehen, dachte Eugen. Doch etwas ließ ihn verharren. Seine Ohren wurden kalt und auch die Nase.
Das Haus schräg gegenüber war gepflegt und sicher teuer. Egal ob Eigentum oder Miete, der Mann hatte einen Beruf mit einem geregelten Einkommen. Ein Biedermann. Kein eiskalter Killer.
Motorengebrumm erklang. Ein Bewegungsmelder schaltete die Außenbeleuchtung an. Ein schwarzer Kombi fuhr auf den Garagenvorplatz.
Das war ja schnell gegangen. Oder war das der Zweitwagen der Frau?
Der Motor erstarb. Ein Mann stieg aus, öffnete die Heckklappe und legte eine pralle Supermarkttüte auf einen Bierkasten. Dieses wackelige Konstrukt schleppte er zur Haustür, stellte es ab und kehrte zurück. Bevor er die Heckklappe schloss, sah er sich um.
Eugen wartete, bis der Mann im Haus verschwunden war und im Erdgeschoss die Lichter angingen. Ein paar Minuten blieb er noch sitzen. Keine Frau tauchte auf. Offenbar lebte der Mann allein. Allein in einem Haus, das für eine Familie Platz bot. Hatte seine Frau die Koffer gepackt und ihn verlassen, so wie er von Margot verlassen worden war? Auch er hatte damals seinen Kummer mit Bier und Wein bekämpft. Es half nicht. Das würde der Kerl auch noch feststellen.
Eugen stand auf und griff nach dem Fernglas, das er nicht gebraucht hatte. Der wohlbekannte dumpfe Schmerz fuhr durch die Hüfte. Eugen biss die Zähne aufeinander. Diese verdammte Kälte! Wie er sie hasste!
Als er wieder in der U-Bahn saß, stellte sich ein Gefühl von Zufriedenheit ein. Er hatte recht. Der Mann soff sich die Welt schön und hatte im Rausch einen Unfall verursacht, für den er die Verantwortung nicht übernehmen wollte. Ein Feigling. Eine arme Sau, der der Arsch auf Grundeis ging. Das Unfallauto war er ja schnell losgeworden. Was er wohl damit gemacht hatte?
Im Wagon war es warm, der Schmerz ließ nach. Mit sich zufrieden stieg Eugen in den Bus um und fuhr nach Hause.
Im Hausflur schaltete er das Licht ein und zog den Wohnungsschlüssel aus der Manteltasche. Als er ihn ins Schloss steckte, nahm er hinter sich eine Bewegung wahr und fuhr herum. Auf der untersten Treppenstufe saß eine Frau, die nun aufstand. Herrgott, hatte die ihn erschreckt!
»Herr Voigt?«
Sicher eine, die ihm ein Zeitschriftenabo andrehen wollte, oder die Mitgliedschaft in einer karitativen Organisation. »Ja. Warum?«
»Gina Angelucci. Kripo München. Kann ich Sie kurz sprechen?«
Diesem Gespräch war er bisher ausgewichen. Weshalb? In Gedanken zuckte Eugen die Schultern. Am Unfallabend hatte er einfach das Licht ausgelassen und so getan, als sei er nicht da. Denn er wusste, dass alle im Haus die Polizei zu ihm schicken würden. Knöllchen-Eugen hat sicher mit seinem Tele bewaffnet hinter der Gardine gelauert. Knöllchen-Eugen. So nannten sie ihn. Man machte sich eben keine Freunde, wenn man auf Recht und Ordnung achtete und Wert darauf legte, dass man nicht der Einzige war, der Regeln einhielt. Knöllchen-Eugen . Es lag so viel Verachtung darin.
»Kommen Sie rein.« Hinter der Polizistin schloss er die Tür. Kripo München. Es klang beeindruckend. Dabei war sie nur eine Frau. Eine pummelige kleine Frau mit Sommersprossen auf der Nase und einem frechen Blick.
»Ich komme wegen des Unfalls. Den haben Sie doch mitbekommen.«
Eugen zog die Schultern hoch und hob bedauernd die Hände. »An dem Abend war ich krank.«
»Wirklich?«
Er sah ihr die Enttäuschung an. »Durchfall. Die meiste Zeit war ich auf der Toilette und sonst mit der Wärmeflasche im Bett.«
Nun legte sie den Kopf zur Seite und zog
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