Schuld währt ewig
sie, und das war gut so. Einen solchen Wagen fuhr man eben auch mit dem Hintern.
Sie parkte vor dem Haus und sah sich nach Herrn Kater um. Heute Morgen war er nicht gekommen. Auch jetzt konnte sie ihn nicht entdecken. Kein Wunder. Hamlet streunte auf dem Weg herum.
Als sie ausstieg, kam er angelaufen und blieb leise knurrend vor ihr stehen. Sanne erstarrte. Ihr Herz schlug wie wild, unwillkürlich hob sie die Hände auf Taillenhöhe. Sicher bot sie den Anblick einer hysterischen Frau. Denn der Hund tat ja nichts. Außer leise zu knurren. Sie wusste nicht, wie lange sie so dastanden. Vermutlich nur Sekunden, die ihr allerdings wie eine Ewigkeit erschienen. Eine Krähe landete auf dem Zaun gegenüber. Endlich wandte der Hund sich ab. Bellend verscheuchte er den Vogel. Sanne stürmte ins Haus, knallte die Tür hinter sich zu, startete den PC , noch bevor sie das Paket mit den Bögen ablegte und aus der Jacke schlüpfte.
Als der Rechner hochgefahren war, googelte sie Niklas Domegall. Gut, dass der Highlander nicht Hans Müller hieß. Sie fand ihn sofort. Er hatte eine eigene Homepage. Der Kerl restaurierte Möbel. Deshalb also der vollgestopfte Möbelwagen. Sanne klickte auf Kontakt und schrieb eine Mail.
Werter Herr Nachbar! Es ist Ihrer Aufmerksamkeit ja nicht verborgen geblieben, dass in Ihrer Nachbarschaft nicht nur ein Kater wohnt, der naturgemäß von Hunden als Feind betrachtet wird und sich nun nicht mehr blicken lässt, sondern auch eine Nachbarin – mit der Sie laut eigenem Bekunden eine gute Nachbarschaft pflegen wollen (wobei dies ein einseitiger Wunsch ist, wie ich gleich betonen möchte) –, die Angst vor Hunden hat. Sie können Hamlet also nicht frei herumlaufen lassen. Gruß von der Nachbarin.
Sie klickte auf Senden und trug das Päckchen mit den Bögen in die Werkstatt. Für die Arbeit fehlte ihr jetzt die nötige Ruhe. Es war ohnehin Zeit für die Mittagspause.
Sanne taute die Kürbissuppe auf, die Laura vor ein paar Tagen gebracht hatte. Laura betrieb mit ihrem Mann Klaus die Kachelofenwerkstatt in der alten Molkerei. Sie entwarf die Öfen und fertigte die Kacheln, er lieferte aus und baute auf. Ein perfektes Paar. Sowohl beruflich wie auch privat.
Laura hatte eine gemütliche Figur und ein herzliches Wesen. Gelegentlich kam sie auf ein Glas Wein oder brachte selbstgebackenen Kuchen vorbei oder auch etwas anderes zu essen, wenn sie zu viel gekocht hatte. Manchmal besuchte auch Sisco, Lauras schwarzweiße Katze, Sanne. Sie war ein kugelrundes Unikum. Im Sommer lag sie oft völlig entspannt im Hier und Jetzt auf dem Weg vor Sannes Haus, reckte alle viere der Sonne entgegen und entlockte Spaziergängern damit ein entrücktes Lächeln. »Eigentlich ist sie keine Katze, sondern eine Huntze«, hatte Laura einmal gesagt. Denn Sisco ging mit Laura nicht nur spazieren, sie apportierte auch Stöckchen.
Während Sanne die Suppe aß, sah sie aus dem Fenster. Ein Wagen der Seniorenresidenz Mozart kam den Weg heruntergefahren. Thorsten arbeitete dort als stellvertretender Pflegedienstleiter. Wie fast immer, kam er unangemeldet. So sehr sie das sonst mochte, im Augenblick fühlte Sanne sich nicht wohl in ihrer Haut. Seit jenem Sonntagmorgen, als sie neben ihm aufgewacht war, hatten sie nur einmal telefoniert.
Natürlich sehnte auch sie sich nach Nähe und Zärtlichkeit, nach Liebe, Sex und Vertrautheit. Manchmal so sehr, dass es schmerzte. Dennoch war es falsch gewesen, mit Thorsten ins Bett zu gehen. Sie waren gute Freunde. Mehr nicht. Jedenfalls wenn es nach ihr ging.
Doch seit Lydia Thorsten vor vier Monaten verlassen hatte, sah er Sanne mit anderen Augen. Plötzlich häuften sich zufällige Berührungen, schenkte er ihr mehr Aufmerksamkeit, kam häufiger zu Besuch. Und dann war es passiert, als Abschluss eines schönen Tages, nach einem Spaziergang am Wörthsee, einem guten Essen in einer Bauernwirtschaft, einem Glas Wein bei ihm und dann noch einem. Sie hatte ihrer Stimmung nachgegeben und sich von Thorsten verführen lassen.
Sosehr sie Thorsten mochte, etwas fehlte, das aus Freundschaft Verliebtheit oder gar Liebe werden ließ. Er war nicht der Mann, den Sanne sich als Partner vorstellen konnte. Überhaupt fiel es ihr schwer, sich eine Beziehung vorzustellen. Seit Manuel hatte es außer zwei kleinen Affären keinen Mann in ihrem Leben gegeben. Es war eigentlich nicht zu fassen. Beinahe sechs Jahre!
Vielleicht steckte ein Funken Wahrheit in Thorstens Ansicht, dass sie sich verbot, glücklich zu
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